Merkel ist nicht glücklich mit dem designierten Bundespräsidenten.
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Berlin. "Überwältigt und auch ein bisschen verwirrt" sei er, gestand Joachim Gauck, als er auf dem Podium als parteiübergreifender Konsenskandidat für den deutschen Bundespräsidenten vorgestellt wurde. Das hatte wohl nicht nur damit zu tun, dass ihn Kanzlerin Angela Merkel von seiner Nominierung verständigte, als er gerade vom Flughafen kommend im Taxi saß. Am Vormittag war er noch bei einer Veranstaltung in Wien Gast gewesen.
Verwirrt haben könnte Gauck auch, dass er, für den Merkel bei der Präsentation nur lobende Worte fand, keineswegs ihr Wunschkandidat gewesen war. Erst die FDP, die mit Koalitionsbruch drohte, ließ sie auf Gauck einschwenken.
Der Koalitionskonflikt ist ein später Nachklang auf die Präsidentenwahl 2010, als die Bundesversammlung erst im dritten Wahlgang den damaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten Christian Wulff zum Staatsoberhaupt machte. Schon damals hatten Teile der FDP für Gauck, Kandidat von SPD und Grünen, plädiert, und dies mit Proteststimmen deutlich gemacht. Der damalige FDP-Chef Guido Westerwelle brachte damals seine Parteifreunde um des Koalitionsfriedens willen zum Einschwenken auf den CDU-Mann.
Diesmal lief es umgekehrt. Die Freidemokraten, laut jüngsten Umfragen mittlerweile zur Zwei-Prozent-Partei geschrumpft, wollten nicht wieder als bloße Erfüllungsgehilfen für Merkel dastehen und zudem einen rein schwarz-roten Konsenskandidaten verhindern - vor allem im Hinblick auf jene Beobachter, die schon jetzt ein deutliches Turteln von CDU und SPD bemerkt haben wollen. Paradoxerweise musste die FDP dafür mit Gauck einen Mann unterstützen, der neuerlich von der SPD favorisiert worden war.
Dabei fügte sich glücklich, dass laut Umfragen auch 54 Prozent der Deutschen für einen Bundespräsidenten Gauck plädiert hatten. Laut Emnid-Umfrage für "Bild am Sonntag" wünschten sich zudem unabhängig von der Person 79 Prozent der Befragten einen Kandidaten von außerhalb des Politikbetriebes. Die "Bild"-Zeitung hatte schon 2010 Gauck gegenüber Wulff bevorzugt, was einen ersten Bruch in dem zuvor gezeigten Vertrauensverhältnis zwischen dem Boulevardmedium und dem Niedersachsen erzeugte.
Langfristige Folgen?
Während die FDP die Nominierung Gaucks als "Meilenstein" feierte, gab es in der CDU einige Stimmen, die den Koalitionspartner vor weitreichenden Folgen warnten. Unions-Fraktionsvize Michael Kretschmer sprach gar von einem "gewaltigen Vertrauensbruch" durch die FDP. Auch wenn CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe ebenso wie FDP-Spitzenfunktionäre versuchte, die aufgewühlten Wogen zu glätten und die verlässliche Zusammenarbeit der Koalitionspartner herauszustreichen, könnte das schwarz-gelbe Klima auf Dauer deutlich getrübt sein.
Die Grünen betrachten aufgrund dieses Zwistes die Koalition schon nicht mehr als handlungsfähig. Die SPD merkte indessen genüsslich an, dass Merkel den 2010 gemachten Fehler zurückgenommen habe. Tatsächlich soll in den CDU-internen Diskussionen ein wichtiges Argument gegen Gaucks Nominierung gewesen sein, dass man damit einen Fehlgriff bei der Wahl von Wulff einräumen würde. Ob der Kanzlerin ein derartiges Eingeständnis wirklich schadet, ist freilich eine offene Frage. Häufig wird ihr vielmehr positiv angerechnet, dass sie "über ihren eigenen Schatten gesprungen" sei.
Merkels Zustimmungswerte sind ohnehin zurzeit so hoch wie lange nicht mehr. Ihr kommt beim deutschen Wahlvolk zugute, dass sie ihr Land in der EU als dominierende Macht etabliert hat und sie in der Schuldenkrise den Ton angibt. Die Affäre um Wulff hat ihr nicht geschadet, und ihr Zögern bei Gaucks Kür wird dies wohl gleichfalls nicht tun.
Zu schaffen könnte ihr der neue Bundespräsident indes im Buhlen um die Aufmerksamkeit der Bevölkerung machen. Ebenso aus der DDR stammend wie Merkel, hat Gauck im Gegensatz zu ihr den Nimbus des Widerstandskämpfers gegen das kommunistische Regime. Er ist kein Berufspolitiker und in diesem Sinn viel unberechenbarer als der Parteisoldat Wulff. Seine emotionale Art verschafft ihm gute Aussichten auf hohe Popularität.
In anderer Hinsicht könnte Gauck, der sich selbst als "konservativen Sozialdemokraten" bezeichnet, allerdings ein zukunftweisendes Zeichen setzen. Die Wahl von Wulff-Vorgänger Horst Köhler zum Bundespräsidenten 2004 noch unter der rot-grünen Bundesregierung galt als Probegalopp für eine schwarz-gelbe Zusammenarbeit. Die Wahl von Gauck könnte, obzwar von Merkel ungewollt und eher durch wahlarithmetische Umstände bedingt, auf ein schwarz-rotes Bündnis nach der Bundestagswahl 2013 hindeuten.