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Nabucco-Chancen sollten steigen, aber: Türkei macht mit Pipeline Politik. | Die Wirtschaftskrise sorgt auch auf dem internationalen Gasmarkt kräftig für Unruhe. Die Gaskrise zu Jahresbeginn, ausgelöst durch den Streit zwischen der russischen Gazprom und der Ukraine, ist fast vergessen. Aus einer Mangelsituation ist nun ein Überschussproblem geworden.
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Die Gaspreise haben sich innerhalb weniger Monate mehr als halbiert. Die Rolle von Gazprom hat sich deshalb stark verändert.
Die Russen haben mit Absatzproblemen zu kämpfen. Teilweise ist der Gasbedarf im Export, aber auch im Inland bis zu 40 Prozent gesunken. Gazprom ist knapp bei Kasse und gezwungen, eingegangene Verpflichtungen auszusetzen. Russland hat in den letzten Jahren mehr Gas verkauft, als es aus den eigenen Lagerstätten anzubieten vermochte, und musste aus Ländern wie Aserbeidschan, Turkmenistan oder Kasachstan zukaufen. Die EU konnte in diesen Ländern - mangels entsprechender Pipelines - nicht Fuß fassen.
Nun dürfte es eine Trendwende geben. Turkmenistan ist verärgert, weil Russland getroffene Vereinbarungen nicht einhält, und hat nun erstmals eine Gasvereinbarung mit der deutschen RWE getroffen. Der Versuch der Europäer, mit Aserbeidschan ins Geschäft zu kommen, scheint allerdings vorerst einmal gescheitert zu sein.
Die EU geht zwar nach wie vor davon aus, dass der Gasbedarf in den nächsten Jahren kräftig steigen wird, allerdings nicht mehr so stark wie ursprünglich angenommen. Rechnete man für 2012 noch mit einem Bedarf von 689 Mrd. Kubikmetern, prognostiziert man jetzt nur noch 610 Mrd.
Knappe Finanzdecke
Die Expansionspläne von Gazprom erscheinen nun in einem neuen Licht, Geld fehlt an allen Ecken und Enden. Jene Mengen, die durch die jüngste Gaskrise (zu noch hohen Preisen) nicht geliefert werden konnten, fehlen in der Kasse. Bulgarien verlangt sogar Schadenersatzzahlungen von mehreren hundert Millionen Euro. Die in der Gaskrise geleerten Gasspeicher werden erst langsam, zu weit niedrigeren Preisen, aufgefüllt. Dazu kommt, dass die starke Verkäuferposition der Russen durch den starken Ausbau der Kapazitäten bei verflüssigtem Erdgas bedroht wird. So baut etwa Katar, das auf großen Gasvorräten sitzt, wie wild Verflüssigungsanlagen, um damit weltweit (ohne Pipelines) Gas anbieten zu können. Jüngst wurde eine 13 Mrd. Dollar teure Anlage in Betrieb genommen, an zwei weiteren wird gebaut.
Durch die knappe Finanzdecke wird auch der von den Russen stark forcierte Ausbau zweier neuer Pipeline-Systeme Richtung Europa stark in Mitleidenschaft gezogen. Für ein Leitungssystem (Nord Stream) am Boden der Ostsee wurden bereits viele Investitionen getätigt (gemeinsam mit deutschen Partnern), aber es fehlen noch viele Genehmigungen. In Anbetracht der Lage am Gasmarkt wird die ursprünglich geplante Inbetriebnahme 2011 wohl in weitere Ferne rücken. Das zweite Projekt, South Stream genannt, dürfte nach Meinung von Experten vorerst einmal in der Schublade landen.
Die Angst vor der nächsten Gaskrise ist derzeit etwas in den Hintergrund gerückt. Russland muss kleinere Brötchen backen und sich auf die Suche nach westlichen Investoren machen. Durch die Probleme der russischen Gazprom sollte eigentlich Europas Parade-Projekt, die Gaspipeline Nabucco, Oberwasser bekommen. Brüssel hat dem Projekt höchste Priorität eingeräumt, echt vom Fleck kommt es aber nach wie vor nicht. Die Vorarbeiten sind zwar großteils erledigt und Ausnahmeregelungen von der EU weitgehend abgesegnet, sodass die notwendigen "Intergovernmental Agreements" wohl schon bald von den Partnerländern unterzeichnet werden. Aber es gibt eine große Lücke, die Türkei, über deren Territorium die Gasleitung laufen muss.
Politisches Faustpfand
Die Türkei versucht, Nabucco als Faustpfand für politische Wünsche zu nehmen (Stichwort: EU-Beitritt und Zypern-Frage). Sachfragen wie die Höhe der Transitgebühren oder Sonderwünsche bei den Gasmengen treten da fast in den Hintergrund. Brüssel versucht derzeit, die Türken durch besondere Zuckerl, etwa eine eigene Gasbörse in der Türkei, ins Boot zu bekommen.
Experten erwarten, dass ein Durchbruch bei den Verhandlungen noch viele Monate dauert. Vorher kann es auch keine Ausschreibung für das Buchen der Pipeline-Kapazitäten geben. Der Baubeschluss selbst würde erst danach erfolgen.
analyse@wienerzeitung.at