Zum Hauptinhalt springen

Gazproms Zangenangriff auf die EU

Von Dieter Friedl

Wirtschaft

Gaslieferungen: EU will unabhängiger von Russland sein. | Frankreich: EU-weiter Gaseinkauf soll Druck auf Moskau ausüben. | Pipelines: Poker um fünf Projekte. | Wien/Moskau. Die Fakten liegen auf dem Tisch: Bis 2015 dürfte der Gasbedarf in der EU um 200 Milliarden Kubikmeter (billion cubicle meters, bcm) steigen. Die Frage ist freilich: Woher wird dieses Gas kommen?


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 16 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Derzeit ist Europa stark abhängig von Russland, das 40 Prozent des EU-Bedarfs deckt. Frankreichs Außenminister Bernard Kouchner schlug deshalb bei seinem Wien-Besuch am Donnerstag vor, Europas Versorger sollten ihr Gas künftig gemeinsam einkaufen: "Wir brauchen eine europäische Solidarität in Energiefragen. Russland tut ja so, als ob es die EU gar nicht gebe und verkauft immer nur sein Gas an einzelne Staaten." Mit einer gemeinsamen EU-Strategie könne man mehr Druck auf den Produzenten erzeugen.

Gas: Gefechte um die Ost-West-Nabelschnur

Ähnliches gilt für die Gasleitungen: Derzeit wird Europa über drei Routen versorgt. Über die Nord-Süd-Route gelangt norwegisches Gas nach Zentraleuropa - über fünf Pipelines mit 144 bcm Kapazität. Über die Süd-Nord-Route kommt Gas aus Nordamerika über drei Leitungsstränge. Dieses Netz soll bis 2011 um 18 bcm erweitert werden.

Heiß umfehdet, wild umstritten ist jedoch die dritte Gas-Nabelschnur von Ost nach West, die derzeit 140 bcm transportieren kann. Insgesamt fünf Projektbetreiber balgen sich um das künftige Gasgeschäft. Die EU will unabhängiger vom Russengas werden und hofft auf andere Bezugsquellen. "Am Ende führen aber alle Wege zur russischen Gazprom", meinte jüngst ein Experte.

Die russische Energieaußenpolitik hat nämlich einen Zangenangriff gestartet und damit, so meinen Beobachter, die EU blamiert, was sich am Nabucco-Pipeline-Projekt zeige. Nabucco wurde ins Leben gerufen, um mit Gas aus dem kaspischen Raum eine alternative Bezugsquelle zu haben. Die Brüsseler Lippenbekenntnisse finden aber bei vielen EU-Staaten kaum Widerhall. Die Nabucco-Partner Österreich, Ungarn, Bulgarien, Rumänien und Türkei finden nicht recht zueinander, Italien geht wie Spanien eigene Wege.

Währenddessen tut Gazprom, was es will. Der Gasriese möchte auf niemand Rücksicht nehmen. Daher soll die Abhängigkeit von Weißrussland und der Ukraine, über deren Territorium das Russengas derzeit transportiert wird, reduziert werden.

Noch ist der Kampf nicht verloren. Zwei Pipeline-Projekten mit russischer Beteiligung stehen drei "russenlose" Projekte gegenüber. Die Realisierung dieser fünf Projekte ist unterschiedlich weit fortgeschritten.

Das Putin-Schröder-Projekt: Nord Stream

Das größte Vorhaben namens Nord Stream ist ähnlich weit wie Nabucco: Es ist jenes Projekt, das von Ex-Präsident Wladimir Putin und dem deutschen Ex-Kanzler Gerhard Schröder forciert wurde. An Nord Stream hält Gazprom die Mehrheit, dabei sind noch Wintershall, E.ON und die niederländische Gasunie.

Der 1200 Kilometer lange Erdgasstrang verläuft am Grund der Ostsee von Russland nach Deutschland und wird in zwei Tranchen gebaut. Eine erste Rohrleitung soll Ende 2011 in Betrieb gehen und hat eine Kapazität von 27,5 bcm, die zweite Röhre folgt ein Jahr später. Vor wenigen Wochen wurde ein Vertrag in Höhe von einer Milliarde Euro für die Verlegung der Pipelinerohre unterzeichnet - damit soll Anfang 2010 begonnen werden. Ein definitiver Baubeschluss fehlt: Trassenführung und Umweltverträglichkeit sind noch unklar. Insgesamt wird mit Kosten von 8,4 Milliarden Euro gerechnet. Vor allem Polen ist ein Feind des Nord Stream-Projektes und fordert, dass die Leitung über polnisches Gebiet führen soll. Dies wäre die viel billigere Lösung.

Das Nord Stream Management stellt eine andere Rechnung auf. Man komme ohne Verdichterstationen aus, da man die Leitung in der See wegen des Wasserdrucks von außen mit einem höheren Druck betreiben können. Wenn man Investitions- und Betriebskosten zusammenfasst, ist die Seeleitung bei einer Laufzeit von 25 Jahren mindestens 15 Prozent billiger als eine Onshore-Lösung.

Weit weniger konkret ist das zweite Gazprom-Projekt namens South Stream, das auf dem Grund des Schwarzen Meeres verlaufen und die russische Hafenstadt Noworossijsk mit dem bulgarischen Warna verbinden soll. Eine genaue Streckenführung wird derzeit noch diskutiert, man hat sich aber bereits die Unterstützung von Bulgarien, Serbien und Ungarn gesichert.

An South Stream sind Gazprom und die italienische ENI mit je 50 Prozent beteiligt. Überlegt wird eine Südroute über Griechenland und eine Nordroute über Slowenien nach Österreich zum Gasknoten Baumgarten, wo Gazprom mit der heimischen OMV eine Handelsplattform betreibt. Das Projekt wurde im Jänner 2008 als Firma in der Schweiz eingetragen. Die Rede ist von einer 900 Kilometer langen Rohrleitung mit einer Kapazität von 30 bcm, die frühestens 2013 in Betrieb gehen soll. Genauere Details sind noch in Ausarbeitung, jüngst wurde auch Österreich eingeladen sich zu beteiligen. Die OMV hat sich vorerst nicht ablehnend geäußert.

Großes europäisches Gasprojekt Nabucco

Den Gazprom-Plänen steht als großes europäisches Projekt die Nabucco-Pipeline entgegen, die möglichst ohne Russengas betrieben werden soll. Nabucco ist grundsätzlich weit gediehen und soll Gas aus dem kaspischen Raum über die Türkei, Bulgarien, Rumänien, Ungarn nach Österreich führen. Das Genehmigungsverfahren durch Brüssel ist weitgehend abgeschlossen. Ebenso haben sich die nationalen Kontrollbehörden auf eine Linie geeinigt, nur in der Türkei ist noch etwas Sand im Getriebe. An der 3300 Kilometer langen Leitung ist neben den fünf Ländern auch noch die deutsche RWE beteiligt.

Allerdings sind - ebenso wie bei Nord Stream - die Kosten explodiert: Noch im Februar dieses Jahres erklärte die für das Projekt federführende OMV, das Investitionsvolumen in Höhe von 5 Milliarden Euro werde kaum dramatisch steigen. Im Mai wurde die Zahl auf 7,9 Milliarden korrigiert. Der Grund: Gestiegene Öl- und Stahlpreise. Für Nabucco werden 200.000 Pipelinerohre und 30 Kompressorstationen benötigt.

Der Knackpunkt für die Nabucco-Betreiber lautet aber: Woher will man das Gas nehmen, da Russland draußen bleiben soll. Geplant ist ein Bedarf von 30 bcm, fixe Lieferanten sind noch nicht vorhanden. Die Hoffnungen ruhen auf Aserbeidschan, von wo 10 bcm kommen könnten. Mehr Zusagen hat man nicht. Angedacht sind Lieferungen aus Ägypten und dem Irak.

Genügend Gas gäbe es im Iran, wo auch großes Interesse bestünde, aber aus politischen Gründen gilt der Iran derzeit als "No Go-Region". Die OMV hat allerdings bereits erste Kontakte aufgenommen. Sollten alle Stricke reißen, könnte aber unter Umständen auch Russengas eingespeist werden.

Trans Adriatic Pipeline mit der Schweiz

Das sind aber noch nicht alle Projekte. Interessant ist eine Pipeline, bei der die Schweiz federführend ist. Die Trans Adriatic Pipeline (TAP) soll von Griechenland über Albanien durch die Adria nach Italien führen. Gründungsväter sind die Schweizer Elektrizitätsgesellschaft Laufenburg (EGL) und die norwegische Statoil Hydro. Die EGL will so ihre Gaskraftwerke in Italien versorgen.

Der Clou bei der TAP ist, dass die Schweizer sich nicht um politisches Wohlverhalten scheren und mit dem Iran im März 2008 einen Liefervertrag über 5,5 bcm Gas unterzeichnet haben, womit die Hälfte des Bedarfs gedeckt ist.

Fazit: Fix ist derzeit wenig. Für keines der Projekte gibt es einen Baubeschluss. Über Nabucco soll im Frühjahr 2009 entschieden werden.

Gazprom versucht indes, seine Konkurrenten zu verunsichern - auch wenn man Gegenteiliges behauptet. Bei seinem Wien-Besuch im April meinte Gazprom-Vize Alexander Medwedew: "Platz ist für uns beide, ich bin kein Feind von Nabucco." Zu Hause in Moskau hat es da schon weitaus kritischere Äußerungen gegeben.