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Hebammengremium warnt Frauen, sich vom Arzt zum Kaiserschnitt überreden zu lassen. | Mangelhafte Praxis gefährdet Qualität der Hebammen. | Wien. "Du bist ja nur zu faul zum Pressen", ist in einem der zahlreichen Internetforen für werdende Mütter zu lesen, in denen immer heißere Diskussionen rund um die Glaubensfrage natürliche Geburt oder Kaiserschnitt entbrennen. Fakt ist, dass Letzterer zunehmend beliebter wird, wie das Österreichische Hebammengremium (ÖHG) betont.
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Im Vorjahr kamen laut Statistik Austria rund 22.000 Babys per Kaiserschnitt zur Welt, was 30 Prozent aller Geburten entspricht. "In den letzten 15 Jahren hat sich dieser Prozentsatz verdreifacht", warnt das ÖHG, "und nur ein Bruchteil ist medizinisch gesehen ein Notfall."
"Wir raten Frauen daher, sich vor der Geburt objektiv und bei mehreren Stellen darüber zu informieren und sich nicht etwa vom Arzt zu einem Kaiserschnitt überreden zu lassen", so das ÖHG, das fordert, in die über die Krankenkasse finanzierte Schwangerenvorsorge miteinbezogen zu werden. Für die Wiener Gebietskrankenkasse ist dieser Wunsch derzeit kein Thema, lautet deren Stellungnahme.
"Das größte Problem bei privaten Gynäkologen ist nämlich, dass unter ihnen keine Kostenwahrheit herrscht", fährt das ÖHG fort. Tatsächlich kann ein Privatarzt "verlangen, was er will", wie Gerhard Hochmaier, Fachgruppenobmann für Gynäkologie der Österreichischen Ärztekammer, der "Wiener Zeitung" bestätigt. Falls keine Zusatzversicherung besteht, die die Kosten übernimmt, müsse die Patientin für einen Kaiserschnitt rund 5000 Euro zahlen. Eine natürliche Geburt komme hingegen um vieles billiger, da etwa die Kosten für den Anästhesisten sowie die Operationssaal-Miete entfallen.
Risiko fürs Kind reduzieren
"Natürlich sprechen wir uns grundsätzlich für Spontangeburten aus", kontert Bernhard Bartosch, Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe an der Privatklinik Rudolfinerhaus. "Allerdings", so räumt er ein, "wird zunehmend versucht, das Risiko einer komplizierten natürlichen Geburt zu vermeiden, um das Kind zu schützen." Daher werde immer häufiger "die Abkürzung über den Kaiserschnitt gewählt", der bereits so natürlich wie möglich durchgeführt werde, sodass die Mutter ihren Säugling möglichst rasch in den Armen halten kann.
Dass zahlreiche Ärzte kein Risiko durch eine vaginale Geburt eingehen wollen und daher vorsichtshalber lieber gleich zum Skalpell greifen, wird vom ÖHG bestätigt: Aufgrund der ausgereiften Forensik fürchten sie rechtliche Probleme etwa nach einer Totgeburt. Dass allerdings immer mehr Frauen sogar den fixen Wunsch hegen, ihr Kind per Sectio zur Welt zu bringen, sieht die erfahrene Klosterneuburger Hebamme Margit Hanzal im gewandelten Bild der Frau begründet. "Frauen haben eine bessere Bildung als früher und stehen zumeist mit beiden Beinen im Berufsleben, wodurch sie mit dem Kinderkriegen in Konflikt geraten", sagt sie.
Viele planen daher, sofort nach der Geburt, die am besten termingerecht vonstatten geht, wieder ins Berufsleben einzusteigen. "Sie haben einerseits die berechtigte Angst, ihren Job zu verlieren, und fürchten andererseits das Ungewisse, das eine natürliche Geburt und ein Baby mit sich bringen", so Hanzal.
Auch der durch sämtliche Britney Spears und Victoria Beckhams dieser Welt bekannt gewordene Trend zur geplanten Operation beeinflusse viele werdende Mütter. "Das Internet bietet überhaupt einen Überfluss an Informationen, die wissbegierige Schwangere nur noch mehr verunsichern", sagt Hanzal. In dieser kopflastigen Zeit zweifelten viele Frauen an der Kraft des eigenen Körpers und daran, eine Geburt schaffen zu können.
"Sie fürchten sich vor der Beschädigung ihres Körpers und dem unbestimmbaren Schmerz", meint Hochmaier dazu. "Und denken sich: ,Warum soll ich mir das antun, wenn es auch einfacher geht?", ergänzt das ÖHG. Vor allem solle die Geburt des ersten und zumeist auch einzigen Kindes zum unvergesslich schönen Ereignis werden - das durch Schmerzen nur getrübt werden würde. "Immerhin hat ein österreichischer Haushalt durchschnittlich nur noch 1,3 Kinder - da muss die Geburt superperfekt verlaufen", so das ÖHG.
Innerhalb der letzten Jahrzehnte habe sich der Blickwinkel in Bezug auf die Geburt nun schon zum dritten Mal gewandelt. Zuerst sei durch die Medikalisierung die menschliche Lebenserfahrung in den Fokus medizinischer Forschung und Behandlung gerückt. Später - vor etwa 20 Jahren - habe sich die sanfte Geburt "mit Kerze, Schafwollpullover und Birkenstock" wachsender Beliebtheit erfreut. Und nun sei der Kaiserschnitt auf dem Vormarsch.
"Dadurch gerät die Qualität der Hebammen-Ausbildung massiv in Gefahr", warnt das ÖHG. Denn während des dreijährigen Fachhochschul-Studiums sei zwar ausreichend Praxis vorgesehen, "wenn aber in den Spitälern kein Kind in Beckenlage mehr auf natürlichem Weg geboren wird, stirbt die Erfahrung darüber aus." Schieflagen hätten automatisch einen Kaiserschnitt zur Folge - dass dieser jedoch ebenfalls mit Schmerzen nach der Operation einhergehe und jede weitere Schwangerschaft dadurch automatisch zum Risiko werde, werde zumeist übersehen.
Zwei Prozent Hausgeburten
Der Ansturm an die Hebammen-Fachhochschulen ist dennoch ungebrochen. In Österreich sind derzeit 1850 Hebammen tätig. Bei Vertragshebammen werden die Kosten zur Gänze, bei Wahlhebammen zu 80 Prozent von der Krankenkasse übernommen - ein Hausbesuch kostet rund 35 Euro, eine Hausgeburt etwa 390 Euro. Letztere wird laut ÖHG von nur zwei Prozent aller Schwangeren gewählt. Die offensichtlich darauf vertrauen, dass eine Geburt auch ohne Kreißsaal möglich ist.