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Gebremste Offensive

Von WZ-Korrespondentin Birgit Svensson

Politik

Der IS praktiziert Guerilla-Krieg, Zweifel an der Kampfkraft der irakischen Armee.


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Bagdad. Es ist das erwartet schwierige Terrain. Auf den Hausdächern lauern Heckenschützen des Islamischen Staates (IS), in den Straßen haben die Gotteskrieger Sprengfallen versteckt. Entsprechend langsam rückt die irakische Armee in Richtung Tikrit vor, die entscheidende Phase zur Rückeroberung der strategisch wichtigen Stadt soll nun erst am heutigen Mittwoch beginnen.

Im Zuge der Großoffensive, in die die irakische Regierung große Hoffnung setzt und an der 30.000 Soldaten beteiligt sind, sollen aber bereits kleinere Orte unweit der Stadt eingenommen worden sein. Auch um Saddam Husseins Geburtsort Audscha, mittlerweile ein Vorort von Tikrit, soll es heftige Kämpfe geben. Das Mausoleum, wo die Überreste des ehemaligen Diktators begraben sind, soll zerstört sein. Sein Leichnam sei allerdings rechtzeitig an einen geheimen Ort gebracht worden. Bestätigt ist dies alles nicht. Eine gewisse Skepsis gegenüber Erfolgsmeldungen ist angebracht. Schon mehrere Male in den letzten Monaten wurden Offensiven gegen die Präsenz des IS in Tikrit gestartet, die alle wieder zurückgeschlagen wurden.

Tikrit liegt gut 140 Kilometer nördlich von Bagdad und ist die Hauptstadt der Provinz Salahaddin. Nur wenige Stunden, nachdem am 10. Juni 2014 Mossul von IS-Terroristen überrannt und eingenommen wurde, meldete auch Tikrit die Herrschaft von ISIS über die Stadt, wie der Islamische Staat damals noch hieß. Auch hier sind viele Soldaten der irakischen Armee desertiert, haben Waffen und Gerätschaften zurückgelassen, die dann der Terroristen in die Hände fielen und schließlich ihre Präsenz in der ehemals 100.000-Einwohner-Stadt sicherten. Allerdings, so berichten zuverlässige Quellen aus der Stadt, waren die Eroberer zunächst nicht Mitglieder des IS, sondern Anhänger Saddam Husseins, ehemalige Baath-Partei-Mitglieder und Offiziere der alten irakischen Armee. Die hatten sich die Rückkehr an die Macht in Saddams Heimatstadt erhofft, wurden dann aber vom IS zur Seite geschoben. So ist zu erklären, dass es anfangs in Tikrit keinen Widerstand gegenüber den neuen Herrschern gab. Man kannte sich.

Inzwischen ist mehr als die Hälfte der Einwohner geflohen. Tikrit sei fast leer, berichten die Flüchtlinge, die großteils im nahen Kirkuk Unterschlupf gefunden haben. Die gesamte Universität Tikrits ist ausgelagert nach Kirkuk. Professoren, Dozenten und Studenten arbeiten dort im alten Campus der Universität. Teilweise habe es absurde Situationen in den Gebäuden der Uni Tikrit gegeben, berichten Angehörige der Lehranstalt. Über Wochen hatten sich Mitglieder der IS in einem Teil der Universität verschanzt, im anderen lagerten Regierungstruppen. Manchmal habe man gegeneinander gekämpft, manchmal aber auch Tee zusammen getrunken. Jedenfalls sei die Uni total zerstört, sagt ein Professor, der erst kürzlich für einen Tag wieder in Tikrit war, um Dokumente zu holen. Selbst wenn die Stadt zurückerobert werden könne, würde es noch Monate, wenn nicht Jahre dauern, bis dort der Lehrbetrieb wieder aufgenommen werden kann.

Gemeinsam mit Teheran

Mit der Schlacht um Tikrit verfolgt das Einsatzkommando in Bagdad eine gewisse Strategie. Geplant ist, zunächst Samarra, Tikrit und Baiji, die Städte entlang des Tigris, vollständig wieder unter die Kontrolle der Regierung zu bekommen. Danach will man eine Bresche gen Westen schlagen, nach Haditha in der Provinz Anbar, wo der strategisch wichtige Euphrat-Damm heiß umkämpft ist. Gelingt dies, dann wären wichtige Versorgungswege und Verbindungsstraßen wieder in der Hand Bagdads.

Doch es gibt nach wie vor Zweifel an der Einsatzfähigkeit der irakischen Armee. Obwohl die Soldaten in den letzten Monaten von diversen ausländischen Experten geschult wurden, allen voran den Amerikanern, wird jetzt zwar nicht mehr ihre Kampffähigkeit infrage gestellt, sondern vielmehr ihre Ausrüstung. Es gäbe zu wenig Munition, Raketen und Panzerhaubitzen, so ein Mitglied des Sicherheitsausschusses im irakischen Parlament, das nicht genannt werden will. Nachdem die Amerikaner während der Besatzungszeit 25 Milliarden Dollar in Ausrüstung, Training und Bewaffnung der neuen irakischen Armee gesteckt hatten und dies nichts gebracht hätte, seien sie jetzt zurückhaltender. Die Kosten für den jetzigen Einsatz würden dreigeteilt zwischen dem Irak, den USA und Saudi-Arabien.

Allerdings bleibt ein wichtiger Partner im Kampf gegen den IS zumeist unerwähnt: der Iran. Schon seit längerem arbeiten Washington und Teheran im Irak zusammen. Auf der Militärbasis al-Assad in der Provinz Anbar, die zu großen Teilen vom IS kontrolliert wird, sind seit Wochen Soldaten aus den USA und dem Iran zusammen, um sich mit Irakern auf den Großeinsatz gegen die Terrormiliz vorzubereiten. Freiwillige Kämpfer diverser Schiitenmilizen werden dort ebenfalls ausgebildet. Ohne die Milizen sei der Krieg gegen den IS nicht zu gewinnen, heißt es in Militärkreisen. Dabei sei die Badr-Brigade, ein von Exil-Irakern im Iran noch zu Zeiten Saddam Husseins gegründete militärische Einsatztruppe, die am schlagkräftigsten. Ausgebildet im Iran, sind deren Kämpfer sowohl für den Guerilla- als auch für einen herkömmlichen Krieg gerüstet. Generalmajor Qassem Suleimani, ein Iraner, soll jetzt das Kommando über die Brigade für ihren Einsatz in Tikrit übernommen haben.