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Gebt doch den Friedensnobelpreis zurück!

Von Christian Ortner

Gastkommentare
Christian Ortner.

Ausgerechnet syrische Kriegsopfer müssen für Europas selbst verursachte ökonomische Schwäche büßen.


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Dass die EU-Staaten mit ihren mehr als 500 Millionen Einwohnern sich diese Woche nicht spontan und ohne Federlesen darauf einigen konnten, 20.000 Kriegsflüchtlinge aus Syrien und dem Irak aufzunehmen - Kriegsflüchtlinge wohlgemerkt, nicht etwa schwarzafrikanische Wirtschaftsmigranten -, lässt das "Friedensprojekt Europa" in einem mäßig sympathischen Licht erscheinen. Gelingt es der EU nicht, diese unsägliche Peinlichkeit rasch zu beseitigen, wäre eine Rückgabe des Friedensnobelpreises (etwa wegen Rechtsirrtums) im Ernst zu erwägen.

Jener eher erbärmliche Anblick, den die europäischen Staaten unter dem Druck ihrer jeweiligen Elektorate in dieser Angelegenheit bieten, ist letztlich die Folge zweier ganz wesentlicher Fälle von Politikversagen in den vergangenen Jahrzehnten. Denn dass ein erheblicher Teil der europäischen Wähler mehr oder weniger berechtigt Aversionen gegen Zuwanderung aller Art (außer Schweizer Touristen) hegt, liegt unter anderem an der Angst um den eigenen Job in Krisenzeiten und an den Folgen einer nahezu völlig in die Hose gegangenen Einwanderungspolitik in fast allen EU-Staaten, die nie wirklich ausreichend sauber und konsequent zwischen Asylanten und Wirtschaftsflüchtlingen unterschieden hat. Mit der Folge, dass heute auch ein erheblicher Teil der Bevölkerung dazu nicht mehr wirklich willens oder imstande ist.

Populisten beiderseits verstärken das: die Rechten, indem sie alle, auch Kriegsflüchtlinge, in den Topf "unerwünschte Ausländer" werfen; die Linken, indem sie ganz Afrika zugestehen, Recht auf Asyl in der EU zu haben (auch von dort, wo es weder Krieg noch Verfolgung gibt).

Das erschwert natürlich erheblich, den Wählern verständlich zu machen, dass Kriegsflüchtlinge in aller Regel nicht bleiben, sondern möglichst schnell wieder in ihre Heimat zurück wollen, sobald der Krieg zu Ende geht. Weshalb es wesentlich weniger problematisch ist, einer größeren Zahl von Kriegsflüchtlingen temporär Asyl zu gewähren. Dazu kommt, dass politische Eliten, die jahrzehntelang nicht fähig waren, Migration so zu organisieren, dass sie dem nationalen Interesse dient und daher auch von der Bevölkerung akzeptiert wird, diesbezüglich nur überschaubare Glaubwürdigkeit genießen. Das zweite erhebliche Problem bei der Umsetzung einer angemessenen Asylpolitik ist die weitgehende Unfähigkeit mehrerer EU-Staaten, ihre Wirtschaft durch längst überfällige, wirtschaftsliberal fundierte Umbaumaßnahmen wieder kräftig wachsen zu lassen. Denn in dem Maß, in dem Arbeitslosigkeit, stagnierende oder sinkende Kaufkraft und lahmes Wirtschaftswachstum die Menschen bedrängen, wachsen auch deren Aversionen.

Dass sich Europa so schwer tut, 20.000 Kriegsflüchtlinge aufzunehmen, kann daher durchaus auch als logische Konsequenz einer falschen Wirtschaftspolitik verstanden werden, die vor allem - mit der Ausnahme Deutschland - Stagnation und Arbeitslosigkeit generiert.

Das ist auch in Österreich gut zu beobachten: Je weiter das Land von der Spitze ins ökonomische Mittelmaß zurückfällt, umso erfolgreicher kann die FPÖ die Migrationsproblematik in Wählerstimmen umsetzen. Man könnte auch sagen: Geschundene Syrer, die jedes Recht auf vorübergehendes Asyl hätten, büßen für die maue Wirtschaftspolitik.