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Geburtslotterie

Von Thomas Seifert

Leitartikel

Der erste Instinkt sollte immer die Bereitschaft zu Solidarität sein.


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Antonio Guterres war zehn Jahre lang Hoher Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen, und als solcher wurde er "Zeuge der Widerstandsfähigkeit und Einsatzbereitschaft von Flüchtlingen in allen Lebensbereichen", wie er in einer Botschaft zum heutigen Weltflüchtlingstag schreibt. "Ihr Durchhaltevermögen angesichts widrigster Umstände inspiriert mich jeden Tag aufs Neue. Flüchtlinge verkörpern das, was die Menschheit am meisten auszeichnet. Nicht Zurückweisung an den Grenzen oder geschlossene Grenzen brauchen und verdienen sie, sondern unsere ganze Unterstützung und Solidarität."

Guterres’ Botschaft stimmt nachdenklich: Mehr als 110 Millionen Menschen sind derzeit gezwungen, aus ihrer Heimat zu fliehen - sei es vor Konflikten, Verfolgung, Hunger oder Klima-Chaos. Was in der Migrationsdebatte manchmal vergessen wird: Hinter dieser Zahl von 110 Millionen stehen zig Millionen Frauen, Kinder und Männer, die sich auf eine gefahrvolle, schwierige Reise begeben haben, weil sie in der Geburtslotterie kein so glückliches Los gezogen haben wie Menschen in Österreich und der EU. Was würde wohl Herbert Kickl machen, wenn er als Haybe Kalif in Mogadischu, Somalia und nicht in Villach, Österreich in dieses Leben geworfen worden wäre?

Daran erinnert zu werden, dass das Glück, die richtigen Eltern zu haben, darüber entscheidet, ob man in einem der reichsten Länder der Erde aufwachsen darf oder bittere Armut in einem Bürgerkriegsland erleiden muss, schadet nie.

Beim Humanitären Kongress, der am Freitag zum sechsten Mal in Wien über die Bühne ging, war viel vom Humanitären Imperativ - von der Hilfsverpflichtung für Menschen in Not - die Rede. Überschattet war der Kongress von der Nachricht ständig steigender Opferzahlen nach dem Kentern des Fischkutters "Adriana" in griechischen Gewässern. Der internationale Präsident von Médecins Sans Frontières (Ärzte ohne Grenzen), Christos Christou - er ist griechischer Staatsbürger -, war auf der Bühne sichtlich geschockt, und seine Kollegin Reem Mussa erinnerte an das tausendfache Sterben jener Verzweifelten, die versuchen, die Sahara zu durchqueren.

Beim Humanitären Kongress, der im großen Festsaal der Universität Wien stattfand, wurde auch daran erinnert, dass die Arbeit der Hilfsorganisationen immer dann ins Spiel kommt, wenn die Politik versagt. Wenn die Regierungen der Herkunftsländer nicht in der Lage sind, die grundlegendsten Lebensbedürfnisse von Menschen abzudecken, oder wenn der UN-Sicherheitsrat wieder einmal daran scheitert, den Weltfrieden zu sichern.

Freilich braucht Migration einen Ordnungsrahmen - aber der erste Instinkt sollte Solidarität sein.