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Gedacht wird nicht allein

Von Sonja Burger

Wissen
Wenn zwei denken, löst sich die Aufgabe leichter. Das trifft für unterschiedliche Disziplinen zu. Foto: Fotolia

Im Mittelpunkt steht der menschliche Denkapparat. | Ob, wo und wie neues Wissen entsteht, ist planbar. | Wien. Besitzt der Mensch einen freien Willen? Das ist eine der großen philosophischen Frage seit der Antike. Bis Mitte des 20. Jahrhunderts suchte und fand jede Wissenschaftsdisziplin eine eigene Antwort auf sie. Doch dann entstand ein völlig neuer Forschungszweig: die Kognitionswissenschaft. Auf die Komplexität des Denkens reagierte sie interdisziplinär.


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Kognitionswissenschafter verstehen die Fähigkeit zu denken als Informationsverarbeitungsprozess. Simulationsexperimente auf dem Computer helfen dabei, kognitive Vorgänge nachvollziehbar zu machen. Mit Hilfe von Computersimulation werden die evolutionäre Entwicklung von Sprache und der Ablauf von Lernprozessen in neuronalen Netzwerken sichtbar.

Kehren wir zur Frage zurück, ob der Mensch einen freien Willen hat. Bringt man zur Beantwortung einen Philosophen und einen Neurowissenschafter an einen Tisch, sind die Widersprüche programmiert. Der Philosoph sagt nach eingehendem Literaturstudium, dass es den freien Willen gibt. Der Neurowissenschafter hält dagegen, dass der freie Wille nicht messbar ist und somit nicht existieren kann.

Was tun mit solchen Differenzen? "Das Besondere an der Kognitionswissenschaft ist, dass sie Geistes- und Naturwissenschafter in einen ernsthaften Dialog bringt", erklärt Markus Peschl, der gemeinsam mit Helmut Leder die neu gegründete Forschungsplattform "Cognitive Science: Entwicklung der Kognition" der Universität Wien leitet. Dabei arbeiten Forscher aus Philosophie, Psychologie, Trans-

lationswissenschaft, Kunstgeschichte, Kognitionsbiologie und Anthropologie zusammen.

Im Mittelpunkt steht der menschliche Wahrnehmungs- und Denkapparat. Warum werden bestimmte Artefakte als ästhetisch empfunden? Wie funktioniert Kunstwahrnehmung? Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, nimmt Leder die Methode des "Eye Tracking" zu Hilfe: Mit einem speziellen Aufzeichnungsgerät lässt sich etwa feststellen, wie der Blick über Kunstwerke wandert und wo er innehält. Die Emotionen, die dabei im Spiel sind, untersucht der Kunsthistoriker anhand der Bewegungen der Gesichtsmuskulatur. "Durch die Verknüpfung von Kunstgeschichte, Neurowissenschaft und Psychologie werden neue Theorieräume erschlossen", sagt Peschl.

Am Department für Kognitionsbiologie erforschen Tecumseh Fitch, Thomas Bugnyar und Ludwig Huber hingegen das Verhalten von Tieren. Sie stehen in der langjährigen Tradition der Kognitionsbiologie an der Uni Wien, die auf Rupert Riedl und Konrad Lorenz zurückgeht. Im Zentrum der Forschungen stehen visuelle, soziale und technische Kognition sowie die Evolution der Wahrnehmung. Zu den neuesten Forschungsfragen zählt jene nach der Entstehung von neuem Wissen. Peschl leitet eine Forschungsgruppe, die hinterfragt, unter welchen Bedingungen neues Wissen entsteht. Hier sei die Gestaltung von Raum und Kollektiven entscheidend.

Neuer Stadtteil

Innovation kommt in der Wissensgesellschaft ein immer höherer Stellenwert zu. Ob Bürogebäude, Universitäten oder Schulen - wo Menschen lernen, denken und arbeiten, entsteht neues Wissen. Auf der Basis theoretischer Modelle sollen nun neuartige Raumkonzepte nach kognitionswissenschaftlichen Maßstäben entwickelt werden.

Peschls Team beschäftigt sich dabei mit der Konzeption eines ganzen Stadtteils. Knapp 30 Kilometer von Moskau entfernt soll diese kreative Siedlung erwachsen, wo Tür an Tür Schulen, ein Science-Center und Unternehmen aus den Kreativindustrien entstehen sollen. Hier habe man zwar schon viel erreicht, es bleibe aber noch viel zu tun. "Wegen der hohen Komplexität", so der Forscher, "gibt es noch Forschungsprogramme für die nächsten 30 Jahre."