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Gedenken an Massaker von Srebrenica

Von WZ Online

Europaarchiv

775 Opfer wurden beigesetzt.


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Srebrenica. Zehntausende Menschen haben am Sonntag im ostbosnischen Potocari an einer Gedenkfeier für die Opfer des Srebrenica-Massakers vor 15 Jahren teilgenommen. Bei glühender Hitze eröffnete ein Jugendchor mit dem Oratorium "Srebrenica-Inferno" die Trauerfeier auf dem Erinnerungsfriedhof.

Spitzenpolitiker der EU und der Region gaben 775 erst jetzt identifizierten Opfern die letzte Ehre. Gekommen waren unter anderem der belgische EU-Ratspräsident Yves Leterme, der französische Außenminister Bernard Kouchner, der türkische Premier Recep Tayyip Erdogan sowie der serbische Präsident Boris Tadic.

Das jüngste am heutigen Sonntag beigesetzte Opfer war im Juli 1995 erst vierzehn Jahre alt, das älteste 78 Jahre. Bosnisch-serbische Truppen hatten nach der Einnahme der ostbosnischen Enklave am 11. Juli 1995 etwa 8.000 bosniakische Männer im kampffähigen Alter umgebracht. Es handelte sich um das schwerste Kriegsverbrechen auf europäischem Boden seit dem Zweiten Weltkrieg. Der mutmaßliche Hauptverantwortliche für die Gräueltaten, der frühere bosnisch-serbische Oberkommandierende Ratko Mladic, entzieht sich immer noch seinem Prozess vor dem Haager UNO-Kriegsverbrechertribunal.

Leterme bezeichnete es als "unannehmbar", dass Mladic immer noch auf der Flucht ist. "Sein Platz ist nicht im Versteck, sein Platz ist in Den Haag", sagte der belgische Regierungschef. "Serbien wird nie aufgeben, nach mutmaßlichen Kriegsverbrechern, namentlich Mladic zu fahnden", versicherte der serbische Präsident Tadic gegenüber Journalisten. "Ich werde einen Teil meiner Aufgaben erst dann für erledigt halten, wenn er vor Gericht kommt." Zugleich bekundete er sein "Bedauern wegen der Verbrechen, die hier passierten". Tadic nahm zum zweiten Mal an der jährlichen Srebrenica-Gedenkfeier teil.

Der internationale Bosnien-Beauftragte Valentin Inzko erinnerte an die Verpflichtung, Gerechtigkeit zu schaffen, die Wahrheit zu ergründen und all diejenigen zu bestrafen, die an den Kriegsverbrechern teilgenommen hatten. In Brüssel meldeten sich auch EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton und Erweiterungskommissar Stefan Füle zu Wort. In einer gemeinsamen Erklärung bezeichneten sie das Srebrenica "als stilles Mahnmal dafür, was niemals hätte geschehen dürfen und nie wieder geschehen darf". Eine volle Zusammenarbeit mit dem Haager UNO-Tribunal sei weiter notwendig und dringend, unterstrichen sie.

Etwa 50.000 Menschen wurden zur Gedenkfeier erwartet, doch hinderten kilometerlange Wagenkolonnen auch heuer wieder zahlreiche frühere Bewohner Srebrenicas am rechtzeitigen Eintreffen. Die ostbosnische Stadt gehört weiterhin zur Serbenrepublik, viele Muslime scheuen sich davor, in ihre frühere Heimatstadt zurückzukehren. Zur Gedenkfeier gekommen waren neben der bosnischen Spitzenpolitik auch die Präsidenten der jugoslawischen Nachfolgestaaten Serbien, Slowenien, Montenegro und Mazedonien, während Kroatien seinen Außenminister schickte.

Zu Beginn der Gedenkfeier gab es einen Zwischenfall. Die Polizei nahm vor dem Friedhof einen Anführer des Hinterbliebenenverbandes "Mütter von Srebrenica" fest. Ibran Mustafic hatte nämlich Kriegsflaggen der bosniakischen Armee und Plakate, auf denen die bosnische Serbenrepublik als "Völkermord-Schöpfung" bezeichnet wird, angebracht.

Die Einnahme der Stadt war von der bosnisch-serbischen Militärführung bereits Monate vorher ins Detail vorbereitet worden. Vor den Augen von 300 niederländischen Blauhelmsoldaten, die in der UNO-Schutzzone stationiert waren, sortierten die Truppen 8.000 Männer und Burschen zur Tötung aus. Die erste große Erschießung von rund 150 Bosniaken erfolgte am 13. Juli in der Ortschaft Cerska. In einer Lagerstätte auf dem Landgut Kravice wurden noch am selben Abend zwischen 1.000 und 1.500 Menschen durch Handgraten ermordet. In den darauffolgenden Tagen folgten weitere Erschießungen. Mladic wird seit Jahren in Serbien vermutet, wo vor zwei Jahren auch der frühere bosnisch-serbische Präsident Radovan Karadzic gefasst worden war. Er hat sich vor dem Haager UNO-Tribunal in einem Völkermord-Prozess zu verantworten.

Das Massaker von Srebrenica gilt als das schwerste Verbrechen in Europa seit Ende des Zweiten Weltkrieges. Sowohl der Internationale Gerichtshof (IGH) als auch das UNO-Kriegsverbrechertribunal stuften es als Völkermord ein. Nach dem Ende des Bosnien-Krieges (1992-1995) wurden in der Gegend Dutzende Massengräber gefunden. Derzeit werden Leichen aus dem bisher größten Massengrab exhumiert, das unter einer Mülldeponie entdeckt worden war. Mit der heutigen Beisetzung haben 4.524 Opfer des Srebrenica-Massakers in Potocari ihre letzte Ruhe gefunden.