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Gedenken bei Blaulicht

Von Christoph Rella

Politik

3000 demonstrierten auf dem Heldenplatz gegen Burschenschafter-Ball.


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Berlin/Wien. In Großbritannien und Israel wird der 27. Jänner bereits seit Jahrzehnten als Gedenktag begangen. 1996 ließ auch der deutsche Bundespräsident Roman Herzog den "Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus" im Feiertagskalender rot anstreichen. Seinem Beispiel folgte vor sechs Jahren die UN-Vollversammlung: Sie rief anlässlich des 50-jährigen Gedenkens an die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz den "Internationalen Holocaust-Gedenktag" ins Leben.

Seitdem heulen in vielen Ländern am 27. Jänner die Sirenen. Nicht so in Österreich. Am Wiener Heldenplatz, wo die Initiative "Jetzt Zeichen setzen" am Freitag zu einer Gedenkveranstaltung gegen Rassismus, Antisemitismus und Rechtsextremismus geladen hat, waren es vielmehr die Folgetonhörner der Polizeiautos, die jedes stille Gedenken störten. Um Ausschreitungen im Rahmen der von linken Gruppen angekündigten Proteste gegen den Ball des Wiener Korporationsrings (WKR) am Abend in der Hofburg zu verhindern, waren hunderte Beamte zum Schutz der Ballbesucher abgestellt worden.

Raich-Ranicki im Bundestag

Den nach Blockaden in der Herrengasse teilweise von der Polizei eskortierten Ballgästen galt auch die Kritik des Holocaust-Überlebenden Rudolf Gelbard, der den Burschenschaftern und Rechtspolitikern - als "Stargast" wurde unter anderen Marine Le Pen von der französischen Front National erwartet- am Heldenplatz zurief: "Ihr, die ihr heute hier tanzen und feiern werdet, wir erinnern euch an die Ermordung von zwei Dritteln des europäischen Judentums." Daran, dass auch sein Großvater Chaim von den Natzis getötet wurde, erinnerte der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde, Ariel Muzicant. "Es sind nicht die blöden Buben, die Hakenkreuze schmieren, die mir Angst machen, sondern die Schreibtischtäter", sagte er mit Verweis auf die hohe Akademikerdichte im WKR. Dagegen gelte es, ein Zeichen zu setzen und auch in Österreich den 27. Jänner offiziell zum Gedenktag zu erklären.

Während das Gedenken an den Holocaust in Wien am Freitag von den heftigen Protesten gegen den Burschenschafterball überdeckt wurde - rund 3000 Demonstranten hatten sich am Abend an der Polizeibarrikade auf dem Heldenplatz eingefunden und skandierten Parolen wie "Nazis verpisst euch, keiner vermisst euch", zu gröberen Zwischenfällen kam es bis Redaktionsschluss nicht- gedachten die Abgeordneten des Deutschen Bundestags in Berlin der Opfer des Nationalsozialismus. Dabei lieferte der deutsch-polnische Literaturkritiker Marcel Raich-Ranicki (91) einen beklemmenden Zeitzeugenbericht über die Deportation der Bewohner des Warschauer Ghettos 1942 nach "Osten", in die Konzentrationslager Auschwitz und Treblinka.

Dass in der Auseinandersetzung mit der Geschichte des Nationalsozialismus auch in Deutschland noch viel Aufklärungsarbeit geleistet werden muss, beweist eine Umfrage des "Stern". Demnach wissen 21 Prozent der 18- bis 29-Jährigen nicht, dass Auschwitz ein Konzentrationslager war.