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Gedenktafel · Erste österreichische Volksvertretung

Von Günther Schefbeck

Politik

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Am 22. Juli dieses Jahres, auf den Tag genau 150 Jahre nach der feierlichen Eröffnungssitzung des Konstituierenden Reichstages, der ersten österreichischen Volksvertretung, ist an der Außenwand

der Winterreitschule der Hofburg, im Durchgang vom Michaelerplatz zum Josefsplatz, eine Gedenktafel enthüllt worden, die an diese Geburtsstunde des österreichischen Parlamentarismus erinnert.

Der Ort, an dem sie angebracht ist, ist in mehr als dieser einen Hinsicht mit Geschichte und Kultur Österreichs verbunden. Die Winterreitschule der Hofburg war ursprünglich konzipiert als ein

Schauplatz der Repräsentation monarchischer Macht: farbenprächtige Reiterspiele dienten nicht nur der Unterhaltung des Monarchen, sondern auch dem Ziel, in der Dynamik der Akteure und im Prunk der

Ausstattung Macht und Bedeutung des Monarchen widerzuspiegeln. So fand in der Winterreitschule beispielsweise 1743, inmitten des Österreichischen Erbfolgekrieges, unter der Leitung Maria Theresias

das berühmte "Damenkarussel" statt, das symbolisch den Sieg einer Frau über ihre Feinde darstellen sollte.

Im Laufe der vergangenen zweieinhalb Jahrhunderte hat der Reitschulsaal auch manch anderem Zweck gedient: 1835 etwa präsentierte sich hier in einer großen "Industrie- und Gewerbe-Produkten-

Ausstellung" das aufstrebende Bürgertum der Habsburgermonarchie in seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. In der wirtschaftlichen und geistigen Entwicklung des "Vormärz" schwollen somit jene

Strömungen bereits mächtig an, die 1848 endlich den Damm des Metternichschen Polizeistaates zum Bersten brachten und sich mit revolutionärer Wucht Bahn brachen. Binnen weniger Tage nur gelang es den

Revolutionären, ihre zentralen Forderungen durchzusetzen: nach Aufhebung der Zensur und Gewährung der Pressefreiheit, Bildung einer Nationalgarde, Erlassung einer Konstitution und Einberufung eines

Parlaments.

Als Tagungsort für dieses Parlament wurde die Winterreitschule gewählt. Dieser Saal, als Stätte der Repräsentation monarchischer Macht konzipiert, erfuhr damit eine radikale Umdeutung seiner Funktion

in eine Stätte der Repräsentation des Volkes. Dort, wo zuvor Roß und Reiter des Kaisers zur seiner höheren Ehre aufgetreten waren, gerade in der hier seit Karl VI. gepflegten spanischen Reitkunst

einem vorgegebenen starren Zeremoniell folgend, traten nun die gewählten Vertreter des Volkes zusammen, um das Volk in der staatlichen Willensbildung zu repräsentieren, und zwar gerade gegenüber dem

Monarchen zu repräsentieren, waren doch 1848 die klassischen Gewaltenteilungsvorstellungen noch sehr lebendig.

Das klassisch-liberale Konzept des Parlamentarismus geht davon aus, daß frei gewählte, mit freiem Mandat ausgestattete Abgeordnete in freiem Austausch von Argumenten, in einem diskursiven Verfahren

also, zur Bildung des staatlichen Willens gelangen und so die wohlabgewogenen Ergebnisse dieses Willensbildungsprozesses letztlich das Interesse des gesamten Gemeinwesens bestmöglich wiedergeben.

Auch in diesem Sinn also sollte sich die Funktion des Tagungsortes verändern: War dort bis dahin in der Regel ein starres Zeremoniell nachvollzogen worden, so sollte nun hier ein freier

Willensbildungsprozeß ablaufen, dem nur ein prozeduraler Rahmen der Geschäftsordnung vorgegeben war, dessen Ausgang aber offen gedacht wurde.

Groß waren die Hoffnungen, als der Reichstag am 22. Juli 1848 zu seiner feierlichen Eröffnungssitzung zusammentrat. Der liberal gesinnte Erzherzog Johann, der in Stellvertretung des Kaisers die

Eröffnung vornahm, hat diese Hoffnungen und zugleich die liberale Parlamentarismusvorstellung in seiner Eröffnungsrede in dem Satz zusammengefaßt: "In der Berufung der Volksvertreter zur eigenen

Berathung der allgemeinen Interessen ruht die sicherste Gewähr der geistigen und materiellen Entwickelung Oesterreichs."

Die 150jährige Geschichte des Parlamentarismus in Österreich hat manche Modifikation am ursprünglichen Parlamentarismusverständnis notwendig gemacht. Der Kerngedanke, daß nur das Parlament als die

Versammlung der vom Volk gewählten Repräsentanten eben dieses Volkes der staatlichen Willensbildung jene Legitimation zu verleihen vermag, die sie benötigt, um dauernde Akzeptanz und allgemeine

Geltung zu erlangen, und daß die Bildung des staatlichen Willens durch das Kollegialorgan Parlament am ehesten die Chance für eine sachgerechte und zugleich im Kompromißweg die Interessen der

verschiedenen Bevölkerungsgruppen zur Geltung bringende Form der Willensbildung bietet, hat jedoch Bestand. Ihm ist mit der Gedenktafel an der Winterreitschule der Hofburg ein steinernes Zeugnis

gesetzt.Õ

Günther Schefbeck ist Leiter des Parlamentsarchivs

OKTOBER 1998