In Belgien ist fortwährend lautes Gejammer über den Teuro, hohe Steuern oder die Benzinpreise wie in anderen Ländern nicht zu hören. Zwar hätte die Bevölkerung des kleinen Benelux-Landes im direkten Vergleich durchaus allen Grund dazu, doch der laute Aufschrei gehört nicht unbedingt zum Wesen der Menschen in Lüttich, Brüssel oder Antwerpen.
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"Die Belgier gehen einfach davon aus, dass der Staat ihnen das Geld aus der Tasche zieht. Wir erwarten nichts anderes", sagt der 29-jährige Fotograf Guy Van Laere.
50% der Gehälter gehen in Abgaben
Von Staats wegen gespart und gekürzt wird in Belgien bereits seit Jahrzehnten, um den riesigen Schuldenberg abzubauen, der Anfang der 90er Jahre 138% des Bruttoinlandsproduktes betrug und noch immer einer der höchsten in der EU ist. Gestrichen wurde kontinuierlich etwa im Gesundheits- oder Bildungsbereich. Der Geldmangel bei öffentlichen Ausgaben kann auch am Zustand vieler Straßen und Bürgersteige mit ihren zahlreichen Schlaglöchern abgelesen werden. Gleichzeitig geht etwa die Hälfte der Gehälter belgischer Arbeitnehmer für Steuern und Sozialabgaben drauf. Dabei sind die Durchschnittseinkommen deutlich niedriger als die ihrer deutschen Kollegen, die Preise in den belgischen Supermärkten jedoch gesalzener. Die Lohnnebenkosten für Arbeitgeber sind etwa doppelt so hoch wie für deutsche Unternehmen.
Im vergangenen Jahr begann die Regierungskoalition aus Sozialisten, Grünen und Liberalen mit der Umsetzung einer Steuerreform. Damit soll bis 2005 der Spitzensteuersatz auf 50% sinken, sollen Wenig- wie auch Doppelverdiener entlastet sowie die Lohnnebenkosten verringert werden. Abgeschafft werden soll auch die allgemeine "Krisensteuer", die eigens zur Sanierung der Staatsfinanzen beiträgt.
Pragmatische Sozial- und Gesundheitsleistungen
Bei der Arbeitslosigkeit steht Belgien mit einer Quote von 7,5% besser da als der Nachbar Deutschland. Dies liegt nicht zuletzt an einem ausgezeichneten System der Kinderbetreuung, das Frauen nach der Schwangerschaft eine rasche Rückkehr in das Arbeitsleben ermöglicht. So gibt es kommunale Kinderkrippen, die sich auch um nur wenige Wochen alte Babys kümmern. Die ganztägigen Kindergärten bzw. Vorschulen nehmen Nachwuchs ab zweieinhalb Jahren auf und sind kostenfrei - ein Traum für Familien anderswo.
Die günstigen belgischen Krankenkassen, oftmals konfessionell oder an politische Parteien gebunden, stellen die Finanzierung der medizinischen Grundversorgung für ihre Mitglieder sicher. Wer Sonderleistungen wie etwa ein Ein-Bett-Zimmer im Krankenhaus möchte, muss sich privat extra versichern. Ein Besuch beim praktischen Arzt für eine normale Untersuchung mit Diagnose kostet allgemein nur etwa 20 Euro und wird direkt beglichen - das ist reale Kostentransparenz. Für solche Preise kann der Patient allerdings in der Regel keine Designer-Rezeption in der Praxis und mehrere Arzthelferinnen wie in Deutschland erwarten.
In Belgien ist es durchaus üblich, dass der Arzt dem Patienten die Tür zu seinen schmucklosen Räumlichkeiten selbst öffnet, ihn ohne längere Wartezeit untersucht, das immer kostenfreie Rezept ausstellt, die Rechnung schreibt, das Geld entgegen nimmt und seinen Patienten dann an der Haustür verabschiedet. Jammern hört man auch ihn dabei nicht.