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Zwei Welten oder doch nur eine? Bei der Regierungserklärung offenbarten ÖVP und Grüne ihre doch großen Unterschiede - wohl nicht zum letzten Mal.
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Wo sind die Grünen? Die Regierungserklärung bildet in gewisser Weise den inoffiziellen Auftakt einer Legislaturperiode. Für Freitag, 9 Uhr, war sie angesetzt, aber die Grünen sind kurz vor 9 Uhr nicht da. Das heißt, der Grüne Klub ist sehr wohl vertreten, vollzählig, nicht aber die Regierungsmannschaft, während sich das ÖVP-Team nach und nach einfindet. Bundeskanzler Sebastian Kurz erscheint als Letzter um 8.56 Uhr.
Die türkisen Ministerinnen und Minister nehmen links von der Regierungsbank Aufstellung, fast wie beim Fußball im Spielertunnel. Aber wo sind wirklich die Grünen? Um exakt 9 Uhr, keine Sekunde zu früh, vielleicht 30 zu spät, kommen sie doch gesammelt in den Plenarsaal. Eine halbe Minute ist noch im Rahmen. Kurz und Co. stehen einige Meter weit weg, es ist dann doch eher das Gegenteil von demonstrativer Geschlossenheit.
Es folgt der Einzug auf die Regierungsbank, hintereinander, samt gegenseitigen Grüßen - auch das fast wie beim Fußball. Nur dass es sich hier nicht um Gegner handelt, sondern um Verbündete. Es ist eine neue Realität. Um 9.05 Uhr pfeift, nein, läutet Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka die Sitzung ein und unterbricht sie sofort für ein Fotoshooting. Alle anwesenden Abgeordneten werden auf einem 360-Grad-Bild verewigt, das braucht einige Minuten. Um 9.18 Uhr fällt Philippa Strache ein Punschkrapferl zu Boden, unmittelbar danach beginnt der Kanzler mit der Regierungserklärung.
Es war nicht die spannendste Rede von Kurz, eher ein Ultra-Schnelldurchlauf durch das 362-Seiten-Programm, ergänzt durch politische Schlagworte aus dem Rhetorikbaukasten, wie sie bei Anlässen dieser Art nicht unüblich sind: Ein neues Kapitel, Probleme der Gegenwart werde man lösen und Fundamente errichten, der Republik dienen und Österreich in eine gute Zukunft führen. Applaus in den Reihen der türkisen Abgeordneten, höfliche, applausähnliche Handbewegungen bei den Grünen, wobei zumindest die beiden grünen Mandatarinnen Faika El Nagashi und Nina Tomaselli ihre Distanz zum Regierungspakt durch emotionale Regungslosigkeit bei den Reden von Kurz und von ÖVP-Mandataren zum Ausdruck brachten. Es sind eben doch zwei Welten, wie es Kurz erneut formulierte, jedoch sei diese Koalition immerhin das Beste aus zwei Welten. Man wird dies wohl noch öfter hören.
Für Werner Kogler, der unmittelbar nach dem Kanzler sprach, und nur neun Minuten länger, was die erste kleine Sensation des Tages war, ist dieses Sprachbild unpassend. Er präzisierte: "Es gibt ja nur eine Welt, aber mehr Sichtweisen auf diese Welt." Auch der Vizekanzler sprang in seiner Wortmeldung rasch durch das Programm, teilweise mehr assoziativ als strukturiert, wobei Kogler explizit ganz konkrete, grün-gefärbte Punkte aus dem Regierungsprogramm erwähnte. Seine Partei steht angesichts dieses Programms aber auch unter einem größeren Rechtfertigungsdruck als die ÖVP.
Kogler: Kompromiss bei EU-Budget über einem Prozent
Bemerkenswert war, dass Kogler beim Thema EU-Budget seinem Regierungspartner zwar nicht widersprach, wohl aber seine Einschätzung mitteilte, dass sich Österreichs Position am Ende nicht halten werde lassen. Zum EU-Haushalt blieb das Regierungsprogramm selbst stumm, es findet sich dazu keine Zeile, obwohl die neue Periode gerade auf EU-Ebene verhandelt wird und die ÖVP nicht mehr als ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts nach Brüssel schicken will. Das sei auch Österreichs Position, stellten Kurz und Europaministerin Karoline Edtstadler in den vergangenen Tagen klar, die Grünen plädierten für mehr. "Ich habe das nicht in Frage gestellt, um Österreichs Position nicht auf offener Strecke aufzuweichen", sagte Kogler in seiner Rede am Freitag. Er sei aber optimistisch, dass auf europäischer Ebene am Ende ein Kompromiss herauskommen werde, der "irgendwo zwischen 1 und 1,14 Prozent", dem Vorschlag der EU-Kommission, liegen werde.
Inhaltlich wird wohl auch Kurz klar sein, dass sich die budgetäre Realität am Ende näher der Erwartung seines Regierungspartners als an Österreichs offizieller Position wiederfinden wird. Relevant ist die Aussage von Kogler vor allem insofern, da sie auch untermauert, dass es keine ostentativ einheitliche Kommunikation ("Message control") geben wird wie unter Türkis-Blau. Darauf verwies auch die neue grüne Klubchefin Sigrid Maurer. "Wir sind es gewohnt, lang und intensiv zu diskutieren. Wir ticken anders. Unterschiedliche Standpunkte sind kein Problem", sagte Maurer. Zivilisierte Verhandlungen seien eine Kernaufgabe der Demokratie, und Maurer appellierte auch an die Medien, "nicht jede politische Debatte als Streit zu diskreditieren".
Von der Opposition kam, wenig überraschend, Kritik, aber durchaus auch wohlwollende Worte. SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner befürchtet einen Kampf gegen den Klimawandel auf dem "Rücken der Schwächsten", sie machte aber vor allem Kurz das Angebot nach ihrem Misstrauensantrag: "Versuchen wir doch, uns wieder zu vertrauen."
Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger offenbarte ihre Ambivalenz mit dem Programm, lobte das Transparenzvorhaben und das Bekenntnis zur Abgabenentlastung, bemängelte aber unter anderem die geplante Sicherungshaft und das Fehlen von direkter Demokratie. Letzteres kritisierte auch FPÖ-Klubchef Herbert Kickl, der in Sachen Oppositionsrhetorik nichts verlernt hat. Die FPÖ werde der "rot-weiß-rote Stachel in der Greta-Koalition" sein, sagte Kickl, der sich für die Bezeichnung des Dokumentationsarchivs für den österreichischen Widerstand als "kommunistische Tarnorganisation" einen Ordnungsruf abholte. Er warf der ÖVP und den Grünen vor, nur in dem Vorhaben geeint zu sein, die FPÖ "als einzige patriotische Kraft" von der Regierung fernzuhalten. Kickls Vermutung scheint nicht ganz abwegig. Möglich aber auch, dass gerade seine Rede auch eine selbsterfüllende Prophezeiung war.
Wissen~Auf dem Tagesprogramm am Freitag standen auch Änderungen im Bundesministeriengesetz, da die einzelnen Agenden unter Türkis-Grün neu verteilt wurden, sowie der Beschluss für ein Budgetprovisorium. Dies erfolgte nach Redaktionsschluss.