Zum Hauptinhalt springen

"Geert, du wirst der Nächste sein"

Von WZ-Korrespondent Tobias Müller

Europaarchiv

Niederländische Migranten machen als Rapper gegen Geert Wilders mobil. | Islamkritiker steht wegen Anstachelung zum Hass vor Gericht. | Amsterdam. Sobald die Beats einsetzen, legt er den Finger auf die Narbe. Die, die seit Jahren immer wieder aufreißt. Genau da tut es weh, und genau da drückt er zu: "Pim Fortuyn redete über Muslime. Er wurde abgeknallt. Theo Van Gogh redete über Muslime. Er wurde niedergeknallt. Wer ist der Nächste?", fragt Mo$heb drohend.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 15 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Die harten Konsonanten seines Akzents zerstechen den Keyboardteppich im Hintergrund. Nur ein paar Takte später taucht der Name Geert Wilders auf, als Mo$heb, ein 20-jähriger Rotterdamer pakistanischer Abstammung, seine Gewaltphantasien von der Leine lässt: "Wenn ich dich treffe, heißt es Bam-Bam", droht er dem Chef der Partij voor de Vrijheid (PVV) an. Und: "Wenn du so weitermachst, bist du der Nächste."

80 Sozialstunden und zwei Monate auf Bewährung brachte der Song dem Rapper im Dezember ein. Eineinhalb Jahre zuvor hatte Wilders ihn angezeigt. "Wenn man Menschen droht, ihnen Kugeln in den Leib zu schießen, sehe ich in künstlerischer Freiheit wenig Sinn", so der rechtspopulistische Politiker. Genau darauf jedoch bezog sich Mo$heb und ging in Berufung. Zudem lasse er keinen Zweifel daran, dass es nur Rhetorik sei, wenn er sagt: "Hör zu, Geert, das ist kein Witz, gestern Nacht träumte ich, ich hätte deinen Kopf abgehackt."

Mo$heb ist nicht der Einzige, der derartige Träume hat. In einer Ecke des eher clownesken niederländischen Hip Hops ist in den letzten Jahren ein radikales Subgenre entstanden. Die MCs, meist Kinder muslimischer Einwanderer, wenden sich gegen das Leben in den schäbigen Neubau-Ghettos am Stadtrand, die latente Segregation im Bildungssektor, wo man schon seit langem von "schwarzen Schulen" und "weißen Schulen" spricht, und die schlechten Jobaussichten. Und nicht zuletzt gegen eine Entwicklung, die sich auf ein Wort reduzieren lässt: "Scheiß-Marokkaner".

Bröckelnde Toleranz

In der Zeit, da die Niederlande als Vorbild einer toleranten Gesellschaft galten, bestand ein breiter Konsens gegen solche Aussprüche. Vor rund zehn Jahren jedoch brach sich ein Bedürfnis Bahn, die Dinge beim Namen zu nennen, vor allem, wenn es um Integration ging. In breiten Kreisen wurde diese Meinung salonfähig. "Scheiß-Marokkaner" avancierte zu einem geflügelten Wort, zum inoffiziellen Leitspruch einer Bewegung, die alles, was nach politischer Korrektheit klingen könnte, rabiat ablehnt. Der Rechtspopulist Pim Fortuyn gab diesem Bedürfnis einst eine politische Stimme. Wilders hat längst sein Erbe angetreten.

Er hetzt gegen "marokkanische Straßenterroristen" und spricht von "Pack", das abgeschoben gehöre. Die Einwanderung "nicht-westlicher Ausländer", sprich Muslime, will er stoppen, den Koran vergleicht er mit "Mein Kampf". Wegen Anstiftung zu Hass und Diskriminierung steht der Politiker nun selbst vor Gericht.

Die Rapper aus der zweiten Migranten-Generation erwarten nicht viel vom Rechtsstaat. Sie haben ihre Texte, um mit Wilders abzurechnen. "Wenn du es tust, tun wir es auch", drohte die Nieuwe Straat Generatie aus Rotterdam, als Wilders 2008 seinen Film "Fitna" veröffentlichte. Dann knallen Schüsse und die MCs phantasieren darüber, Wilders einfach zu ertränken, und auch das kommt vor: "Hamas, Hamas!" Der Gaza- Krieg erwies sich als Kickstarter einer weiteren Radikalisierung. Wo die eigene Identität vor allem als muslimisch erfahren wird, lassen sich die Bilder toter palästinensischer Kinder allzu leicht einfügen in ein Weltbild, das geprägt wird durch die Existenz am Rand der Gesellschaft und den ungebrochenen Zulauf von Wilders Partei.

Während die PVV seit Monaten Umfragerekorde erreicht, bedienen sich manche Rapper immer unverhohlener im Sortiment militant-islamistischer Symbolik: in Videoclips tauchen brennende USA-Flaggen auf oder Jihadisten mit Maschinenpistolen vor einer gefesselten Geisel. Zu einem Stück von Scheme015 aus Delft erscheint ein Bild des rituell abgeschlachteten Filmemachers Theo Van Gogh, dem das Messer noch im Bauch steckt. Auch in den Clips zu Mo$hebs Songs gibt es solche Anspielungen. Der Rapper legt jedoch Wert darauf, dass diese nicht von ihm seien. Schließlich kann jeder ein paar Bilder zusammenkleben, mit Musik unterlegen und auf YouTube hochladen. Mo$heb bleibt dabei: "Ich bin nicht gefährlich."

Rappen als Ventil

Warum dann die ganze gewalttätige Drohkulisse? Es sei eine Frage von Ursache und Wirkung, sagt Mo$heb. Und die Muslime hätten nicht zuerst zugeschlagen. "Schau dir all die Dinge an, die Wilders sagt. Ich bin darüber wütend. Das Rappen ist mein Ventil. Darum habe ich ,Wer ist der Nächste? geschrieben." Töten, beteuert Mo$heb, will er Wilders keineswegs. Und auch wenn ein anderer das täte, könnte er das nicht gutheißen. Trotz allem gibt es zwischen Mo$heb und Wilders Parallelen. Zum einen ist da die Meinungsfreiheit, auf die sich beide berufen. Der Politiker, um seine Aussagen über Muslime zu decken, der Rapper, um seine verbalradikale Opposition zu unterbauen. Der zweite Punkt hat mit Rhetorik zu tun: "Wenn du Grenzen überschreitest, bekommst du Aufmerksamkeit", sagt Mo$heb. "Das zeigt mein Lied, und das sieht man auch bei Wilders. Wenn du extreme Dinge rufst, hören die Menschen dir zu."

Eine Erfahrung, die MC- Kollege Appa bestätigen kann. Der 26-Jährige, der aus einem Problemviertel in Amsterdam stammt, widmete sich dem Thema zunächst eher von der satirischen Seite. Dann aber kam dieses Interview im Sommer 2007 in der Tageszeitung "De Pers". "Wenn ich Wilders treffe, gehört er mir. Ich schwöre, ich packe ihn an. Und es gibt mehr Menschen, bei denen dieses Bedürfnis wächst", sagte Appa. "Man muss sich nicht wundern, wenn demnächst Mohammed C. aufsteht. Wenn jemand eine Kugel durch seinen verdammten Kopf schießt, finde ich das nicht schlimm." Mohammed C., das ist der fiktive Nachfolger des Van Gogh- Mörders, des Islamisten Mohammed B.

Heute, nach einem gewonnen Gerichtsverfahren gegen Wilders, klingt Appa eine Spur versöhnlicher. Eigentlich müsste man mit Wilders sprechen, findet der MC. "Ihn mitnehmen in die Viertel, die er verteufelt. Ihn mit Menschen konfrontieren, die versuchen, etwas aus ihrem Leben zu machen. Menschen, die es schwerer haben durch seine Politik. Er sagt sehr viele Dinge, aber er kennt uns nicht." Appa, der ehemalige Kleinkriminelle, versucht sich mittlerweile von seinem alten Leben zu lösen. Er sagt, er wolle ein guter Muslim sein. Und ein guter Mensch.