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Gefahr für Sozialpartnerschaft?

Von André Alvarado-Dupuy

Politik

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Österreich II (die Zweite Republik): Regierungen kamen und gingen, die Sozialpartnerschaft blieb! So könnte man das österreichische Erfolgsrezept für den Ausgleich von Interessen und für den sozialen Frieden im Land beschreiben.

Die "große" Sozialpartnerschaft zwischen Bundeswirtschaftskammer und ÖGB/AK hat wie die "kleine" Sozialpartnerschaft zwischen den Dienstgebern und den Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes schon alle Arten von Regierungen erlebt. Sozialpartnerschaft konnte neben großen Koalitionen (1945-1966, 1986-2000) ebenso bestehen wie neben einer kleinen Koalition (1983-1986) oder neben Alleinregierungen (1966-1983). Die Sozialpartnerschaft verkraftete es auch, wenn entweder die Arbeitnehmerseite (1966-1970) oder aber die Arbeitgeberseite (1970-1986) nicht durch ihre jeweilige "Schutzmantelpartei" SPÖ oder ÖVP in der Bundesregierung vertreten war.

Öffentlicher Dienst und Politik - ein schwieriges Verhältnis

Vor allem der Bundesdienst, aber auch der Landes- oder Gemeindedienst - man denke etwa an die augenblicklichen Gegebenheiten in Kärnten - war in der Geschichte der Sozialpartnerschaft immer der am meisten exponierte Teil des Gesamtgefüges. Besonders exponiert, weil besonders politiknahe! Schließlich repräsentiert im öffentlichen Dienst der Kanzler bzw. Finanzminister, der Landeshauptmann oder der Bürgermeister nicht nur die politische Spitze einer öffentlichen Verwaltung, sondern ebenso die administrative. Und dazu gehört auch die Dienstgebereigenschaft. Außerdem gibt es die Besonderheit, dass im öffentlichen Dienst alle arbeitsrechtlichen Bestimmungen eine Regelung durch Gesetz oder Verordnung erfordern. Und die Jahre seit 1995 haben gezeigt, was für ein reflexartiger Mechanismus bei den Regierenden vorherrscht, wenn die politischen Weichen in Richtung Budgeteinsparungen gestellt sind. Da war es immer nur ein kleiner Schritt zum großen Halali: "Man schröpfe den öffentlichen Dienst!" Schon beim Sparpaket 1996 oder der Pensionsreform 1997 wurde die Sozialpartnerschaft dadurch bis an ihre Grenzen strapaziert.

Die kleine Sozialpartnerschaft - das fragile Gleichgewicht

Ein Grundsatz wurde allerdings auch von der Regierung Klima bis zuletzt nie in Frage gestellt. Ein "Drüberfahren" über einen Sozialpartner wegen eines kurzfristigen politischen Erfolges ist den Schaden nicht wert, den das heikle Gleichgewicht der Sozialpartnerschaft dabei erfährt.

Daher wurde auch in den genannten Beispielsfällen so lange weiterverhandelt, bis die für die Gewerkschaften des Öffentlichen Dienstes nur sehr schwer verdaulichen Neuregelungen von diesen akzeptiert werden konnten. Und nicht zuletzt ist auch die Neuauflage der großen Koalition daran gescheitert, dass Klima nicht bereit war, den Widerstand der Gewerkschaft gegen eine neuerliche Pensionsreform durch ein politisches Diktat zu brechen (oder daran, dass Schüssel diese Koalition einfach nicht mehr wollte...).

Entscheidend für die Sozialpartnerschaft ist das gegenseitige Grundvertrauen der Sozialpartner. Immerhin handelt es sich um Strukturen, die ohne Netz, d.h. ohne gesetzliche Absicherung, und auch sonst weitgehend ohne festgeschriebene Regeln auskommen.

So sind z.B. in der kleinen Sozialpartnerschaft nur die Vorgangsweise bei den jährlich stattfindenden Gehaltsrunden für den öffentlichen Dienst und die sogenannte "Vorbegutachtung" der relevanten Gesetzgebungsvorhaben durch die Gewerkschaft vor der Beschlussfassung im Ministerrat traditionell vorgegeben. Letztere sichert beiden Sozialpartnern, also Bundesregierung und Gewerkschaft Öffentlicher Dienst, die Möglichkeit, ohne Gesichtsverlust in der Öffentlichkeit die gegenseitigen Positionen auszutauschen und den (bei gutem Willen) immer möglichen Kompromiss zu erarbeiten.

Der Schock des 4. Februar

Für viele unserer europäischer Nachbarn bestand der Schock des 4. Februar 2000 darin, dass trotz eindringlicher Warnungen vieler anderer Regierungen eine rechtspopulistische, fremdenfeindliche und antieuropäische Partei regierungsfähig gemacht wurde. Aus österreichischer Sicht ist zu ergänzen, dass es sich bei der FPÖ um eine Partei handelt, die sich seit 1986 als "Fundamentalopposition" zum System der Sozialpartnerschaft, zum Kammer- und Verbändestaat gebärdet. Eine Partei, die meint, es solle keine sozialpartnerschaftlich vorverhandelten Gesetze mehr geben.

An ihren Taten wollen sie gemessen werden!

Aus der Sicht der Sozialpartnerschaft im öffentlichen Dienst sind die Taten der ersten drei Monate dieser Regierung kaum geeignet, das Misstrauen auszuräumen, das einer Regierung unter Beteiligung der FPÖ nach dem gerade Gesagten entgegengebracht werden muss.

Der erste Streich war die nach 55 Jahren erstmalige Besetzung des Sozialministeriums mit einer Persönlichkeit, die zuvor keine Erfahrung im Bereich der Sozialpartnerschaft gesammelt hatte. Die christlichen Gewerkschafter, die wohl auf eine ihnen nahestehende Persönlichkeit nach dem Vorbild Grete Rehors hoffen durften, wurden enttäuscht.

Dann folgten eine Reihe von Regierungsvorhaben (z.B. Änderung des Bundesministeriengesetzes, Privatisierung der PSK, Objektivierungsgesetz, Pensionskassenregelung für Beamte), die zur Begutachtung ausgesendet, in der Öffentlichkeit vorgestellt oder gar im Parlament eingebracht wurden, ohne die GÖD vorher zu befassen.

In einer gelebten Sozialpartnerschaft ist eine solche Vorgangsweise an sich eine Provokation. Denn das gegenseitige Vertrauen der Sozialpartner beruht vor allem darauf, dass zunächst immer der andere Sozialpartner und erst zu einem wesentlich späteren Zeitpunkt die Öffentlichkeit über eigene Pläne, Forderungen oder Maßnahmen informiert wird.

Zu diesen vielen kleinen Nadelstichen kommt natürlich noch das Regierungsverhalten in der Causa prima, der beabsichtigten weiteren Pensionsreform. Hier spricht die Regierung von Anfang an von "unverrückbaren" Eckpunkten der Neuregelung. Durch die Verhandlungen dürfe sich daran nichts ändern, wie etwa BM Bartenstein verlauten ließ. Sozialministerin Sickl ging sogar soweit, dass auch das von einigen Beratern der Regierung aus verfassungsrechtlichen Überlegungen in Frage gestellte Inkrafttreten von Pensionsaltersanhebung und Verschärfung des Abschlagssystems mit 1.10.2000 zum "Unverrückbaren" gehöre.

Auch hier wurde viel zu früh die Öffentlichkeit gesucht. Das "Sich-Einbetonieren" der Regierungsseite genau bei den von ihr vorgegebenen "Eckpunkten" widerspricht nicht nur allen taktischen Grundsätzen, sondern auch den Spielregeln der Sozialpartnerschaft. Diese verlangen, dass sich die Regierung zunächst einmal mit den Argumenten und Gegenvorschlägen der Gewerkschaftsseite auseinandersetzen müsste und dafür auch ein ausreichender Zeitraum zur Verfügung steht. Sollte die Bundesregierung ihren unveränderten Entwurf der Pensionsreform in wenigen Tagen im Ministerat beschließen, wäre dies ein offener Affront gegen die Sozialpartnerschaft!

Den Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes geht es vor allem darum, das Vertrauen der Beamten und Vertragsbediensteten in die Systeme der Alterssicherung zu wahren. Überfallsartige Reformmaßnahmen, die aufgrund eines völlig überzogenen Tempos wahrscheinlich verfassungswidrig sind, werden entschieden abgelehnt. Auf der anderen Seite haben sich die Gewerkschaften als vernünftige Sozialpartner niemals Gesprächen über eine längerfristige Reformperspektive im Bereich des Pensionsrechts verschlossen.

Es ist aber eine Zumutung für die Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes, denen nach der Pensionsreform 1997 ausdrücklich Ruhe auf dem Pensionssektor zumindest bis 2003 zugesagt wurde, schon im Jahr 2000 neuerlich in Pensionsreformverhandlungen gedrängt zu werden. Ärgerlich ist auch, dass es derzeit in Wirklichkeit nicht um die Funktionsfähigkeit der Pensionsversorgung geht, sondern um eine reine Geldbeschaffungsaktion für das Budget. Darüberhinaus widersprechen die Pläne zur weiteren Anhebung des Pensionsbeitrages um 0,8 Prozent auch für Pensionisten den wiederholten politischen Zusagen, in bestehende Pensionen nicht (mehr) einzugreifen. Und die Abschaffung der Begünstigungen für Schwerstkranke und sogar für im Dienst angeschossene Polizisten ist geradezu menschenverachtend.

Streiks statt Sozialpartnerschaft?

Die Regierung Schüssel/Riess-Passer bewegt sich, wie aufgezeigt wurde, auf einem äußerst gefährlichen Terrain. Von ihrem Antritt an hat sie mehrfach das Vertrauen, das für das Funktionieren der Sozialpartnerschaft lebensnotwendig ist, gebrochen. Österreich steht daher an einem Scheideweg. Zum ersten Mal seit den 70er-Jahren könnte es zu flächendeckenden Streiks im öffentlichen Dienst kommen. Vielleicht noch schlimmer als die unmittelbar mit derartigen Kampfmaßnahmen verbundenen Folgen wäre aber die fortschreitende Entfremdung zwischen den Sozialpartnern.

Mit einem Ende der Sozialpartnerschaft wäre wohl ein wesentlicher Teil der Forderungen nach einer "Dritten Republik" erfüllt. Zumindest die eine heutige Regierungspartei hatte aber doch andere Pläne, oder?

Noch ist es nicht zu spät. Die Gewerkschaften wollen zweifellos an der bewährten Sozialpartnerschaft festhalten, genauso wie die überwiegende Mehrheit der ÖsterreicherInnen!

Dr. André Alvarado-Dupuy ist Zentralsekretär der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst und stv. Vorsitzender des Ausschusses öffentlicher Dienst in der AK Wien. Der obige Beitrag gibt die persönliche Meinung des Verfassers wieder.