Mexiko wählt am Sonntag den nächsten Präsidenten. Der Linkspopulist Andres Manuel López Obrador ist Favorit.
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Mexico City. Muss man vor Andres Manuel López Obrador Angst haben?
Ja, sagt der konservative "Economist". Der 64-jährige López Obrador sei ein Linkspopulist, der in einem Buch Privatisierungen als "Synonym für Diebstahl" bezeichnet hat und sich stets gegen die "Modernisierungen der Wirtschaft" gestellt habe - sei es das nordamerikanische Freihandelsabkommen Nafta 1994 oder die Teilprivatisierung des mexikanischen Ölsektors unter dem scheidenden mexikanischen Präsidenten Enrique Peña Nieto 2014.
Beide wirtschaftsfreundlichen Maßnahmen wurden in Mexiko übrigens von jener Partei umgesetzt, die Mexiko von 1929 bis 2000 regierte - und mit einer zwölfjährigen Pause mit 2012 Peña Nieto 2012 wieder ins Amt kam. Bis heute. Diese Partei der institutionellen Revolution (PRI) versteht sich in ihrem Ansatz als sozialdemokratisch, doch daran denkt niemand mehr, wenn er PRI hört. Sondern hauptsächlich - vor allem früher - an Autoritarismus, und heute an zahlreiche Korruptionsvorwürfe. So wie die Unfähigkeit, die drängendsten Probleme Mexikos zu lösen.
López Obrador, der inzwischen seine eigene Partei gegründet hat, wäre der erste linke Präsident, der dem Land seit langem vorstehen könnte - nach Meinung vieler wäre es sogar das erste Mal, das Mexiko eine linke Regierung hätte.
Denn in den zwölf Jahren unfreiwilliger Regierungspause des PRI wählte Mexiko zweimal rechts-konservativ - den PAN. Mit den PAN-Präsidenten Vincente Fox und Felipe Calderón uferte in Mexiko die Gewalt aus. Es wurde der "Krieg gegen Drogen" proklamiert, das Militär auf die Straßen geschickt. Die Drogenmafia munitionierte sich ihrerseits auf, und zahlreiche Tote und Verschwundene zeugten von einem Krieg, der den Frieden jeden Tag ein Stückchen mehr in die Ferne rücken ließ. Calderón gab später auch zu, dass bei dem Krieg gegen Drogen mit bis zu 70.000 Toten in seiner Amtszeit (2006 bis 2012) Fehler unterlaufen sind.
Die Mexikaner wandten sich vom PAN enttäuscht wieder dem PRI zu. Der telegene Enrique Peña Nieto, ein eher unbeschriebenes Blatt, wurde mit der Wahl 2012 als Kandidat des PRI dankbar angenommen. Wer sonst sollte es machen? Und Peña Nieto versprach schließlich alles, was man hören wollte. Bekämpfung der Korruption. Bekämpfung der Gewalt. Unter Peña Nieto verschwanden aber 43 Studenten, als sie gerade auf dem Weg zu einer Demonstration waren. Über ihren Verbleib herrscht nach wie vor Ungewissheit. Alles, was nach und nach ans Tageslicht kam, war ein korruptes System, in dem Politiker, Mafia und Militär gemeinsame Sache machen. Das große Aufräumen unterblieb, nationale und internationale Beobachter kritisierten, dass Verbrechen systematisch unter den Teppich gekehrt werden.
Die Mexikaner haben die Nase voll. Die Gewalt hört nicht auf. Seit Beginn des Wahlkampfes für die nun am Sonntag stattfindenden Wahlen - wo neben dem Präsidentenamt auch 18.000 neue Mandate auf Parlaments-, Regional- und Kommunalebene vergeben werden, sind 133 Politiker getötet worden.
Seit Beginn des Krieges der Regierung gegen die Drogenbanden im Jahr 2006 wurden in Mexiko mehr als 200.000 Menschen getötet, 30.000 Menschen werden vermisst. Mit über 26.000 Morden war das vergangene Jahr das blutigste in der jüngeren Geschichte Mexikos.
Die Angst vor dem Weitermachen wie bisher
Muss man vor Andres Manuel López Obrador Angst haben?
Nein, sagen viele Mexikaner. Denn López Obrador führt die Umfragen mit einem deutlichen Vorsprung vor den Kandidaten des PAN und PRI an. "Nach zwölf Jahren des Blutes und des Schmutzes, der Gewalt und der Korruption, ist es offensichtlich für die Wähler, dass es keine größere Gefahr gibt, als weiterzumachen wie bisher", schreibt der Polit-Analyst und Professor Jesús Silva-Herzog Márquez in "El País", einer durchaus auch konservativen Zeitung.
Ob es López Obrador diesmal schafft, halten die Umfrageinstitute für sehr wahrscheinlich, Pessimisten trauen sich noch nicht zu hoffen. Schließlich ist es nicht das erste Mal, das López Obrador für das Präsidentenamt kandidiert. Der ehemalige Bürgermeister von Mexico City bemühte sich schon 2006 um das höchste Amt im Staat und verlor nur äußerst knapp. Sein Kontrahent, Calderón, konnte 230.000 Stimmen mehr auf sich vereinen. López Obrador reklamierte Wahlbetrug, blitzte aber Monate später beim Obersten Gericht endgültig ab. 2012 nahm López Obrador wieder einen Anlauf ums Präsidentenamt (die Periode dauert sechs Jahre, Präsidenten können nicht wieder gewählt werden), damals scheiterte er - nicht ganz so knapp - an Peña Nieto. López Obrador wollte auch damals die Wahl anfechten.
Kann es diesmal gelingen? "Die Luft riecht nach Wahlbetrug", unkt man schon auf Twitter.
López Obrador ist hartnäckig, und er ist ein Alphatier. Beides bescheinigen ihm Freunde wie Feinde. Er ist nicht mit den Eliten verwoben. Und er will diesmal wirklich Präsident werden. Das bedingt auch, dass seine Partei oft nicht mehr weiß, wofür man genau steht, Positionen werden aufgeweicht und dem Gegenüber angepasst. Die Privatisierung des Erdölsektors sei nun doch nicht ganz so schlecht. Bei einer Sache ist López Obrador aber geblieben - bei seinem diametral anderen Zugang zur Lösung der herrschenden Drogengewalt.
Er schließe eine Amnestie auch für höhere Chefs in der Drogenmafia nicht aus, sowie eine Legalisierung der Drogen in Mexiko - "Umarmungen statt Pistolenkugeln" - "Abrazos, no balazos", heißt sein Slogan, der von den gewaltgeplagten Mexikanern gerne gehört wird.