Parteien stellen sich neu auf. Wie und wohin, das bleibt offen.
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Im Leben einer Demokratie gibt es Zeiten des friedlichen Plätscherns. Jeder geht seiner Wege, alles ist auf Schiene. Dann gibt es Wochen wie die eben vergangene: mit elementaren Weichenstellungen. Die politische Landschaft ist im Umbruch, wohin die Reise geht, ist offen - bei so gut wie allen Parteien.
Die ÖVP etwa kann jetzt offiziell mit allen. Sie koaliert mit allen im Parlament vertretenen Gruppierungen auf Bundes- oder Länderebene. Was das bedeutet? Im besten - und unwahrscheinlichsten - Fall das Zurückfinden der Partei zu ihren christlichen Wurzeln einer Partei der Mitte. Die Koalition in Niederösterreich und die Kanzlerrede sprechen nicht für diese These. Im zweiten Szenario ist es eine Neuentdeckung der nüchternen Sachpolitik - bei Ausklammerung jeglicher Parteideologie. Sachpolitik ohne emotionalen Bindungskit mag vernünftig klingen, macht aber letztlich Parteien an sich obsolet. Bleibt drittens die Praxis situationselastischer Bündnisse mit dem Ziel möglichst breiten Machterhaltes um beinahe jeden Preis. Nur so viel Vertrauen wie nötig - wie mit der FPÖ in Niederösterreich - jenseits davon spinnefeind? Das scheint als neuer Stil mittelfristig auch zu instabil.
Auch die FPÖ stellt sich neu auf - und regiert erstmals wieder mit. Wie lange der Versuch, auf der Regierungsbank trotzig Oppositionspolitik zu betreiben, diesmal gut geht, bleibt abzuwarten.
Auch das Ringen der SPÖ mit sich selbst ist um eine Facette reicher. Die neu entdeckte Liebe zur Basis lässt sich als vieles lesen: als Rückbesinnung auf die sozialen Wurzeln; als neu entdeckte Demut gegenüber den Freundinnen und Freunden; als Bereitschaft, die Partei inhaltlich neu zu strukturieren, um geeint an einem Strang in den Wahlkampf ziehen zu können. Allesamt wenig realistische Optionen. Vorerst wirkt das Chaos um die Mitgliederbefragung wie ein aus einem zermürbenden Patt geborener Verzweiflungsakt.
Die Grünen geben sich formal stabil, kennen jedoch alle diese Dilemmata: von den Tücken der basisdemokratischen Parteiorganisation über die inhaltlichen Abstriche als Preis für die Macht bis zur schmerzlichen Differenz zwischen Oppositions- und Regierungsarbeit. Wenn sich die Partei weiter keinem dieser Themen ernsthaft stellt, wird sie sich im Stillstand bei der nächsten Wahl selbst marginalisieren.
Demokratische Institutionen - damit auch Parteien - bleiben nur lebendig, wenn sie herausgefordert werden. Nur daran können sie sich weiterentwickeln - oder scheitern. Nur wenn Parteien ihre eigenen Weichen neu gestellt haben, können sie das wieder für die Gesellschaft tun. Die Geduld ihrer Wählerschaft sollten sie dabei nicht über Gebühr strapazieren. Gerissene Geduldsfäden sind eine nicht unerhebliche Gefahr für stabile Demokratien.