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Gefährliche Schere im Mindset

Von Sabine M. Fischer

Gastkommentare
Sabine M. Fischer, Inhaberin von Symfony Consulting, ist Wirtschaftspädagogin, Human-Factor-Unternehmensberaterin und Sprecherin des AK Industrie 4.0/IoT in Wien. Symfony / Klaus Prokop

In der Krise darf es nicht bloß um das Wiedergewinnen der Kontrolle gehen.


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Covid-19 hat die soziale und ökonomische Schere weiter aufgehen lassen:

Die einen wissen nicht, wie sie die nächste Miete zahlen sollen, die anderen kaufen ein Haus mit Garten.

Die einen arbeiten noch mehr, die anderen sind arbeitslos oder ihre Arbeit wurde behördlich verboten.

Die einen leben von ihren Ersparnissen, die anderen konnten nie welche anlegen und leben von der Hand in den Mund.

Die einen freuen sich über boomende Umsätze, die anderen verzweifeln an steigenden Kosten bei 70 bis 100 Prozent Umsatzentgang.

Die einen lernen an einem gut ausgestatten PC-Arbeitsplatz im Kinderzimmer, die anderen am kleinen Smartphone am Familienküchentisch - und eine steigende Zahl lernt gar nicht mehr.

Die einen freuen sich über staatliche Förderungen, die anderen erleben ein Bürokratiemonster ohne Nutzen.

Die einen fordern Zusammenhalt und geben Durchhalteparolen aus, die anderen stehen kurz vor dem Zusammenbruch.

Vielleicht können wir uns auf drei Gegebenheiten verständigen:

Covid-19 hat uns alle in unseren Planungs- und Kontrollmöglichkeiten beschnitten, niemand der hart Betroffenen hat Schuld an der Pandemie, und eine umfassende Krise kann jederzeit wieder kommen. Damit wäre es für uns alle von Vorteil, aus unseren Krisenerfahrungen zu lernen.

Eine Lektion ist, dass Handlungen von Individuen, zum Beispiel wirksames Tragen von FFP2-Masken, Auswirkungen auf alle haben, etwa mit Blick auf die Anzahl der Infizierten. Eine weitere Lektion ist, dass Menschen Prozessen eher vertrauen, wenn sie sich mit ihren Erfahrungen ernst genommen und gerecht behandelt fühlen - Wertestudien erfassen schon lange den Wunsch nach mehr Transparenz, Fairness und Nachhaltigkeit, und viele Initiativen belegen, dass Menschen sich auch in der Krise für andere engagieren.

Die Komplexität und Abhängigkeiten unserer Gesellschaft wurden ebenfalls deutlich. Dabei geht es nicht um Wirtschaft ODER Gesundheit. Denn die Geschichte lehrt, dass Wirtschaftskrisen Gesundheitskrisen bewirken und vice versa. Wird dies nicht berücksichtigt, verstärkt sich die Krise auf allen Ebenen - sozial, ökonomisch, psychologisch und medizinisch.

Ein Jahr nach Krisenbeginn gibt es dazu noch immer keine schlüssigen Lösungsansätze. Während der Druck auf die Menschen weiter steigt, beschäftigen sich Entscheidungsträger in Politik und Verwaltung offenbar in erster Linie mit dem Wiedergewinnen ihrer Kontrolle: Von Elga abgemeldete E-Card-Besitzer erhalten Corona-Selbsttests nicht gratis. Ein hochrangiger Verwaltungsbeamter erklärt, Teleworking müsse eingeschränkt werden, "um die Kontrolle über den Dienstnehmer nicht zu sehr zu verlieren". Die Problemstellung scheint nicht zu sein, wie man Menschen bei der Krisenbewältigung im Alltag stärken kann.

Neben der sozialen und ökonomischen öffnet sich auch die Mindset-Schere zwischen der Bevölkerung und jenen, die sie verwalten. Das ist bedenklich, denn die Haltung bestimmt das Tun, und ein Mehr an Kontrolle hat noch nirgends zu mehr Kreativität und Lösungsorientierung geführt.