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Gefährlicher als Ozon, aber viel schwerer nachzuweisen

Von Christa Karas

Wissen

Rund 6 Prozent aller Todesfälle in Westeuropa werden durch die Luftverschmutzung verursacht, allein in Frankreich, Österreich und der Schweiz sterben jährlich mehr als 40.000 Menschen daran, wie eine Studie im Vorjahr belegte. Und auch eine brandaktuelle Untersuchung ergab jüngst, dass die Luft immer tödlicher wird. Doch gleichzeitig sind die "klassischen Luftverschmutzer" wie Schwefeldioxid, Stickstoffdioxid, Kohlenmonoxid und Ozon in Europa auf dem Rückzug. Vor allem aus der Industrie wird immer weniger davon emitiert, Überschreitungen der Grenzwerte werden ungleich seltener als früher registriert. Experten machen für diesen vermeintlichen Widerspruch hauptsächlich zwei Faktoren verantwortlich: Autoabgase und feinen Schwebstaub.


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Autoabgase sind erwiesenermaßen nicht nur für gut die Hälfte der Todesfälle durch Luftverschmutzung verantwortlich, sondern auch für 300.000 Bronchitis-Erkrankungen und 500.000 Asthma-Anfälle pro Jahr in den genannten Ländern Österreich, Frankreich und der Schweiz. Wobei die Gesundheitsexpertinnen Stephanie London und Isabelle Romieu in einem Studienkommentar dazu festhielten, dass dies als "konservative Bewertung" angesehen werden müsse, da die tatsächlichen Folgen noch weit schlimmer seien.

In der Tat, geht doch die nach jüngsten Erkenntnissen vieler Umweltmediziner mutmaßlich noch weit größere Gefahr zum überwiegenden Teil ebenfalls vom Verkehr aus, nämlich von unsichtbaren Staubpartikeln, die zu Millionen jeden Liter Luft belasten und die, je feiner sie sind, bis tief in die kleinsten Verästelungen und Bläschen der Lunge und bis in die Blutbahn eindringen können.

Unvollständige Verbrennung etwa in Heizungen, der Industrie und besonders im Verkehr sowie vor allem in Dieselmotoren lässt Schwebstaub dieser Art ebenso entstehen wie der Verkehr selbst, nämlich durch Reifenabrieb, Straßenbelag und Bremsen. Die mikroskopisch winzigen Partikel - die kleinsten (PM 0,1) sind 0,1 Mikrometer (100 Nanometer) groß - verbreiten sich dabei weitläufig, bleiben über Tage in der Luft und dringen derart auch bis in die Innenräume ein.

Mit verheerenden Auswirkungen, wie eine Reihe von US-Studien herausgefunden hat. So ergab etwa die Autopsie von 152 jugendlichen Unfallopfern im Alter von 15 bis 25 Jahren Schädigungen aller Grade der Atmungsorgane bei insgesamt rund 54 Prozent.

Eine Untersuchung an 6.340 (nichtrauchenden) Sieben-Tage-Adventisten in Kalifornien kam zum Ergebnis, dass jene Personen, die an 42 oder mehr Tagen im Jahr unter erhöhter Schwebstaubbelastung litten, u.a. ein 33 Prozent größeres Bronchitis- und ein 74 Prozent größeres Asthma-Risiko hatten, und dass Frauen in solchen Wohngegenden ein 37 Prozent höheres Risiko hatten, an einem Krebsleiden zu erkranken.

Forscher der Harvard Universität kamen nach einer 16-Jahres-Studie an 8.111 Einwohnern von sechs kleineren US-Städten zum Ergebnis, dass Feinstaub die Lebenszeit um zwei Jahre verkürzen kann - und zwar - besonders alarmierend - auch dann, wenn dessen Konzentration unter den amtlichen Grenzwerten liegt.

Und eine weitere Harvard-Forschergruppe kam jüngst zum Schluss, dass Feinstaub sogar Infarkte auslösen kann, als sie die Bostoner Stadtluft analysierte und mit den Attacken verglich: Stieg die Staubkonzentration deutlich an, war die Infaktrate nach zwei Stunden um 48 Prozent und nach 24 Stunden um 69 Prozent erhöht.

Das unterstreicht die Richtigkeit jener - auch in europäischen Studien drastisch belegten - Vermutungen, denen zufolge vor allem die feinsten Staubpartikel die schlimmsten Auswirkungen auf die Gesundheit haben. Denn gemessen werden, nicht nur in den USA, Schwebstaubpartikel in der Größe von 10 PM (maximale Größe von 10 Mikrometern), während alle kleineren bisher unberücksichtigt geblieben sind. Ebenso wäre aber auch zu überlegen, ob die gängigen Grenzwerte - in Österreich 0,15 Milligramm pro Kubikmeter Luft im Tagesmittel - noch von Relevanz sind.

In den USA scheiterte das Vorhaben der Umweltbehörde EPA, strengere Grenzwerte einzuführen, bereits 1997. Und auch der aktuelle Staubreport der Behörde, der mehr als 1.200 Seiten umfasst, steht quasi "off the records" und damit bisher ohne Folgen seit März dieses Jahres im Internet. "Ein gerichtlicher Konflikt mit der Industrie lässt die EPA derart vorsichtig werden", so der Wissenschaftsjournalist Hans Schuh in der deutschen Wochenzeitung "Die Zeit" (Nr. 35 vom 23. August 2001).

Schuh zitiert in diesem Zusammenhang den international anerkannten Umweltepidemiologen Erich Wichmann: "Es ist völlig rätselhaft, weshalb es für den besonders gefährlichen lungengängigen Feinstaub und die ultrafeinen Partikel noch nicht einmal ein angemessenes Mess- und Überwachungssystem in Deutschland gibt."

Das gilt auch für Österreich, wo bisher an gerade drei peripher gelegenen Messstellen des Umweltbundesamtes (Illmitz im Burgenland, St. Koloman in Salzburg und Vorhegg in Kärnten) die Menge des Gesamtschwebestaubes erfasst wurde. Und ebensowenig wie in Deutschland dürfte sich in absehbarer Zeit daran etwas ändern. Da wie dort sind zwar Teile des europaweiten Schadstoffmessnetzes im Entstehen, doch Schwebstaub wird weiterhin in PM 10-Größe und nicht darunter gemessen.

Das bedeutet, dass die vor allem brisanten Russ- und Dieselpartikel nicht erfasst werden, so sie nur klein genug sind. Und das sind sie zunehmend, seit in der Industrie und in Motoren Filter eingesetzt werden, in denen nur die größeren Teilchen hängenbleiben. Hinzu kommt, dass bestimmte Metalle und Chemiegifte bevorzugt an den feinen Partikeln andocken, sich mit ihnen im Lungengewebe ablagern und nicht mehr abhusten lassen.

Eine Studie des Umweltepidemiologen Wichmann zeigt dies drastisch: Sowohl die Schwebstaubmengen als auch die Schwefeldioxid-Konzentration war in der DDR in den Achtigerjahren um das zehn- bzw. sogar 100-fache höher als Ende der Neunziger. Doch an der Sterblichkeit durch Luftschadstoffe infolge Inversionswetterlagen hatte sich in dem untersuchten Gebiet nichts geändert.