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Nach der "Rio plus 20"-Konferenz Anfang Juni 2012 wird der Katzenjammer groß sein, dass es wieder nicht zum politischen Durchbruch gereicht hat, weil es keine angemessenen Strategien gibt.
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"Rette sich wer kann" bleibt wahrscheinlich die Devise im globalen Standort- und Krisenvermeidungswettbewerb. Mit der "Rio plus 20" Konferenz, die Anfang Juni 2012 in der brasilianischen Metropole stattfindet, wird aber ein neues Leitbild weltöffentlich aus der Taufe gehoben werden, ganz ähnlich wie der Begriff nachhaltige Entwicklung vor 20 Jahren. Die Rede ist von der "grünen" Wirtschaft.
Waren in Rio 1992 die Themen Umweltkrise und Nachhaltigkeit einerseits und Globalisierung andererseits noch getrennt, änderte sich bei der "Rio plus 10"-
Konferenz 2002 in Johannesburg der Ton. "Wir müssen die Globalisierung für nachhaltige Entwicklung arbeiten lassen", verlautbarte UNO-Generalsekretär Kofi Annan. Jetzt also "grüne" Wirtschaft. Mit den geeigneten Technologien soll nicht nur die Energie- und Materialeffizienz gesteigert werden, es winken auch "grüne" Jobs und Vorteile im Standortwettbewerb.
Keine Frage, Investitionen in einen Umbau der Wirtschaft und entsprechende politische Rahmenbedingungen sind dringend nötig. Das Problem ist aber, worüber in Rio - und im längst angelaufenen Vorbereitungsprozess - nicht geredet werden wird:
* Kein Thema wird sein, dass die immer härtere Konkurrenz auf dem Weltmarkt es weiterhin lohnend macht, Ressourcen möglichst billig anzuschaffen und dabei Natur zu zerstören. Die Politik unterstützt dies tendenziell.
* Tabuisiert wird das Desaster bisheriger Umweltpolitik, insbesondere der Klimapolitik mit "marktbasierten" Instrumenten wie dem Emissionshandel.
* Die material- und energieintensive Lebensweise des globalen Nordens sowie der Ober- und Mittelschichten des Südens steht nicht zur Disposition. Hohe Kerosinsteuern, autobefreite Städte, hohe Abgaben auf Fleischkonsum - alles einsichtig, doch die Politik ist zu feig, die Interessen sind zu statisch.
* Tiefgreifende Veränderungen müssten demokratisch stattfinden, sonst werden sie nicht akzeptiert. Die "grünen" Branchen sind kaum gewerkschaftlich organisiert. Die Belegschaften der "alten" Branchen werden nicht in den Umbau einbezogen, sondern zum Spielball des Managements und seiner Kalküle.
Wir wissen, dass der Energie- und Materialverbrauch absolut sinken muss. Doch wir werden mit der Mär der ausstehenden Effizienzrevolution und eben neuerdings mit "grüner" Wirtschaft besänftigt.
Ich plädiere nicht generell für Verzicht. Es gibt zu viel Armut in Österreich, Europa und der Welt. Wir brauchen aber dringend eine offene Diskussion darüber, was eine sozial-ökologische Transformation wirklich bedeutet. Wie wir attraktive Formen von Mobilität und Kommunikation, Ernährung und Wohnen erreichen wollen. Wie das demokratisch und in - sicher oft schmerzhaften - Prozessen geschehen kann. Die "Rio plus 20"-Konferenz wird darauf, so scheint es derzeit, leider keine Antwort geben. Ja noch nicht einmal die Frage präzisieren.
Ulrich Brand ist Professor für Internationale Politik an der Uni Wien und ist sachverständiges Mitglied der Enquete-Kommission "Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität" des Deutschen Bundestages (Jänner 2011 bis Juni 2013).