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Krim-Konflikt eskaliert weiter: Russland erhöht seine Militärpräsenz, Ukraine versetzt Armee in erhöhte Kampfbereitschaft.
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Simferopol. (n-ost) Eigentlich wollte Natalja aus Kiew nur ihre Eltern auf der Krim besuchen. Doch am Grenzübergang zu der von Russland annektierten Halbinsel war Schluss. 20 Stunden stand die 35-Jährige im Stau, bis sie den ukrainischen Kontrollpunkt passieren durfte. Dann musste sie noch einmal elf Stunden warten, bis sie zu ihren Eltern konnte. Am frühen Sonntagmorgen hatten russische Polizisten alle Grenzübergänge der Halbinsel bis auf weiteres geschlossen. Es folgte eine dreitägige Verwirrung: Die Kontrollstellen wurden geöffnet und wieder geschlossen. Laut der ukrainischen Grenzpolizei standen bis zu 1500 Menschen in Staus.
Nach Angaben des russischen Geheimdienstes FSB war es am Grenzübergang von Armjansk zu "Zusammenstößen" gekommen. Der FSB, Nachfolgeorganisation des sowjetischen KGB, spricht von "ukrainischen Saboteuren", die auf die Krim durchbrechen wollten - und angeblich dort Terroranschläge planten. Ein FSB-Mitarbeiter und ein russischer Soldat sollen getötet worden sein. "Die Ukraine geht über zur Praxis des Terrors. Wir werden dabei nicht einfach zuschauen", warnte der russische Staatspräsident Wladimir Putin. Die Regierung in Kiew dagegen dementiert eine ukrainische Beteiligung an den Vorfällen.
Seit der russischen Annexion im März 2014 gibt es immer wieder Spannungen auf der Krim. Erst im November waren die Stromleitungen zur Halbinsel gekappt worden, tagelang saßen die 2,3 Millionen Bewohner damals im Dunkeln. Vermutlich steckten Aktivisten des ukrainischen rechten Sektors und einer Krimtataren-Organisation hinter der Sabotage.
Der Frust über die jetzige angespannte Lage richtet sich beim Großteil der Bevölkerung wieder gegen die Ukraine. Der russische Präsident Wladimir Putin ist hingegen trotz der wachsenden Wirtschaftsprobleme und ausbleibender Geldströme aus Moskau hoch im Kurs. "Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko provoziert Putin", sagt Andrej, ein mittelständischer Unternehmer aus der Krim-Hauptstadt Simferopol. "Das wird für die Ukraine nicht gut enden, das ist klar." Fünf Minuten später berichtet ihm sein Mitarbeiter am Telefon: "Putin hat offiziell erklärt, die Tataren schaffen es nicht, Unruhe zu stiften." Auch wenn der FSB nichts von einer krimtatarischen Beteiligung gesagt hat, steht die muslimische Minderheit bei vielen sofort unter Verdacht.
Putin will Spielraum gewinnen. Die Version des russischen Geheimdienstes über einen angeblichen ukrainischen Terroranschlag auf wichtige Infrastruktureinrichtungen ist bisher nicht bewiesen. Auf der Krim selbst blühen die Spekulationen über die Gründe. "Derzeit verbringen viele Ukrainer ihren Urlaub auf der Krim", sagt die Generalstaatsanwältin der Republik Krim, Natalja Poklonskaja. "Für mich ist klar, dass Kiew das nicht passt." Daher wolle die dortige Regierung die Schwarzmeer-Halbinsel destabilisieren. Einige ranghohe Politiker sprechen sogar von einer "Kriegserklärung seitens der Ukraine". Sergej Aksjonow, "Ministerpräsident" der 2014 von Russland annektierten Krim, vermutet gar, "dahinter steckt das US-Außenministerium."
Verhandlungspoker
Bemerkenswert ist, dass der Konflikt um die Krim genau jetzt wieder aufflammt, wo sich auch die Lage in der umkämpften Ostukraine wieder verschlechtert hat. Die Kämpfe im Donbass haben deutlich zugenommen, es sterben wieder so viele Menschen wie zuletzt vor einem Jahr.
In den vergangenen Wochen meldeten Beobachter zudem, dass Moskau seine Truppen an der ukrainischen Grenze massiv verstärkt. Auch auf der Krim selbst soll Russlands Militärpräsenz "zu Lande, im Wasser und in der Luft" deutlich erhöht werden. Von daher werten manche die Eskalation an der Krim-Grenze als Versuch Putins, Druck am Verhandlungstisch auszuüben. Der Kremlführer hat bereits geäußert, dass er neue Verhandlungen über die Ostukraine im sogenannten "Normandie-Format" mit der Ukraine, Deutschland und Frankreich im September beim G20-Gipfel in China für "sinnlos" hält. Selbst eine militärische Eskalation auf der Krim schließen manche nicht aus, zumal Poroschenko seine Truppen an der Krim-Grenze in Kampfbereitschaft versetzt hat. Seit Mittwoch führt die Armee zudem Militärmanöver im Süden der Ukraine durch. Sie seien schon länger geplant gewesen, versicherte Kiew. Für den Notfall sei man aber gerüstet. Die Armee habe genügend Mittel, das Land verteidigen zu können, betonte der Sprecher des Generalstabes, Wladislaw Selesnjow, am Donnerstag in Kiew. Für den Abend wurde eine Sondersitzung des UN-Sicherheitsrates beantragt.
Mittlerweile funktionieren die Kontrollpunkte an der Grenze zwischen der Ukraine und der Krim wieder. Die Autos stauen sich trotzdem noch. Die Menschen, die dort ausharren, sind müde - nicht nur von der Warterei, sondern von der Politik. "Ich kann diesen Konflikt kaum noch ertragen. Wir wollen endlich in Ruhe leben", sagt die 25-jährige Anna aus Jewpatorija im Westen der Krim. Und Jurij aus Sewastopol fügt hinzu: "Wir sind seit zweieinhalb Jahren beunruhigt. Irgendwann reicht es."