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Gefährliches Spiel mit "roten Linien"

Von Walter Hämmerle

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Politiker reden am liebsten Klartext, wenn es um künftige Entscheidungen geht. Das bringt Zeit, die wichtigste Währung in dieser Branche.


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Kürzlich bei einer kleinen Podiumsdiskussion im Weinviertel. Es geht um TTIP, jenes umstrittene transatlantische Freihandels- und Investitionsabkommen, das die EU und die USA derzeit verhandeln. Die Stimmung unter den Bauern und Unternehmer aus der Region war ziemlich skeptisch - und das ist noch eine Untertreibung.

Die Lokalpolitiker auf dem Podium hatten keinen leichten Stand: Die eigene Partei im fernen Wien sieht das Freihandelsabkommen als Chance; die eigenen Wähler sehen das ziemlich genau umgekehrt. Und dass die größte Tageszeitung des Landes fast täglich gegen das Abkommen anschreibt, macht das Unterfangen auch nicht leichter.

In den guten alten Zeiten war das Verhältnis zwischen Souverän und Regierenden noch von beneidenswerter Einfachheit: Die Politiker gaben die Richtung vor, die Bürger folgten. Davon kann die heutige Politikergeneration nur träumen. Wer heute den Mut aufbringt, munter voranzuschreiten, dem kann, wenn er sich nicht regelmäßig umblickt, es leicht widerfahren, dass der eigene Anhang stehen bleibt.

Die Vorstellung, dass "die da oben" auch nur über irgendetwas besser Bescheid wissen könnten, kommt für nicht wenige dem Tatbestand der Bürgerbeschimpfung recht nahe. Der Souverän ist heute nicht mehr nur selbstbewusst, was zweifelsfrei ein Fortschritt ist, sondern auch noch fast beängstigend meinungsstark. Das war bekanntlich früher einmal ein Privileg von Rentiers, Freigeistern, Politikern und Medienmenschen.

Das konnte natürlich nicht ohne Folgen bleiben, weshalb sich seitdem Politiker mit eigenen unzweideutigen Meinungsäußerungen betont zurückhalten.

Konsequent lässt sich diese Strategie nur selten durchhalten. Manchmal muss auch der flexibelste Politiker Klartext reden. Diesem Umstand verdanken wir es, dass die Sicher-nicht-mit mir-Pose bis heute nicht ausgestorben ist. Was täte man auch sonst in Wahlkämpfen und bei emotionalen Themen?

TTIP ist genau so ein Thema.

Was machen also nun Politiker, die Grund zur Befürchtung haben, dass, wenn sie vorangehen, sie einsam übrig bleiben könnten? Richtig, sie zeichnen rhetorisch "rote Linien" in die Landschaft, die auf gar keinen Fall überschritten werden dürften. Und falls doch, folge eben zwingend dies oder jenes. Hundertprozentig, großes Politiker-Ehrenwort.

Das Tolle an "roten Linien" ist, dass sie den Zeitpunkt für unangenehme Entscheidungen in die Zukunft versetzen. Mit ein bisschen Glück kommt der betreffende Politiker also gar nicht mehr persönlich in die Ziehung. Der konditionale Konjunktiv ist der bevorzugte Modus postmoderner Entscheidungsträger.

Der Nachteil dieser "roten Linien" ist, dass man mit deren Festlegung das eigene Schicksal in die Hand anderer legt, auf die man in den seltensten Fällen wirklich Einfluss hat. Aber dafür gewinnt man wertvolle Zeit. Und jetzt müsste die Politik nur noch etwas finden, wie sie diese Zeit sinnvoll nützt. Am besten mit der Rückeroberung persönlicher Glaubwürdigkeit; dann würden die Bürger ja vielleicht ein weniger mulmiges Gefühl haben, sich dem Beurteilungsvermögen ihrer Regierenden anzuvertrauen. Auch bei so umstrittenen Themen wie TTIP.