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Gefallene und tote Engel des Doping-Sports

Von Lutz Lischka

Gastkommentare
Lutz Lischka war im Judo Fünfter bei den Olympischen Spielen 1972 in München und jahrzehntelang Sportredakteur bei verschiedenen Zeitungen.

Die Welt schlägt die Hände über einen gefallenen Superstar zusammen. Lance Armstrongs Titel sind aberkannt, die Heuchelei im Spitzensport bleibt.


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Die Wiener Gratiszeitung "Heute" versteigt sich in der Diskussion um Lance Armstrongs Doping sogar, die größten "Betrüger" der Sportgeschichte zu nennen: darunter die Sprinter Ben Johnson und Marion Jones, die ebenfalls wegen Dopings in Ungnade fielen. Für alle anderen "Betrüger" gilt die naive Unschuldsvermutung.

Nachdem man Jones ihre Olympia-Medaillen von Sydney 2000 aberkannt hatte, wurde die Griechin Ekaterini Thanou vorübergehend als virtuelle Olympiasiegerin auf Platz eins des 100-Meter-Sprints gesetzt. Nur leider stellte sich im Nachhinein heraus, dass auch sie gedopt war.

Jones sagte später, von Reportern mit dem Betrugsvorwurf konfrontiert: "Wen soll ich betrogen haben? Die Leute, die wegen mir ins Stadion gekommen sind? Die TV-Stationen, die sich bei Übertragungen mit mir eines Millionenpublikums sicher sein konnten? Oder die Gegnerinnen, von denen einige ebenfalls des Dopings überführt wurden?"

Wer im Zusammenhang mit Doping das Wort "Betrug" in den Mund nimmt, geht am Kernproblem vorbei. Im Prinzip ist es ein gesellschaftliches Problem, so wie im Breitensport oder bei Studenten, so wie bei Ärzten und Managern, die glauben, mit leistungssteigernden Mitteln ihre schwere Aufgaben leichter bewältigen zu können.

Als junger, talentierter Sportler hast du heute, wenn du dich nicht, wie zum Beispiel unsere neuen Tischtennis-Europameister, einem rein technischen Sport verschrieben hast, fast nur zwei Möglichkeiten: Entweder du schreibst den Spitzensport ab und bewegst dich auf einem befriedigenden Niveau - oder du spielst auf der Jagd nach Goldmedaillen mit, ohne zu wissen, was gesundheitlich auf dich zukommt.

Spitzensportler sterben oft genug in ihren Zwanzigerjahren und darüber. Ihr Totenschein wird häufig auf "plötzliches Herzversagen" ausgestellt, ohne dass untersucht wird, warum der Herzmuskel wegen anormaler Verdickung nicht mehr richtig pumpen konnte. Oder sie sterben wegen unverantwortlichen Dopings von Ärzten wie zum Beispiel beim italienischen Fußballklub Sampdoria Genua, wo einige Spieler an amyotropher Lateralsklerose erkrankten, darunter leider auch Ernst Ocwirk, einer unserer Superstars der 1950er.

Aber - und das ist die gute Nachricht - du kannst es auch ohne Doping schaffen! Sebastian Coe, Olympiasieger über 1500 Meter 1980 und 800-Meter-Weltrekordler 1981, behandelte das Thema in seinem Buch "The Winning Mind" ausführlich. Von Kindheit an richtig trainiert (ohne Überehrgeiz der Eltern), gefördert an Schule und Hochschule und nie die Freude am Sport verloren - dann ist Doping überflüssig. Coe bezeichnet Doping als gefährliche Abkürzung in den Spitzensport. Es gibt weitere Experimente mit Sportlern, etwa jene des Wiener Sportwissenschafters Hans Holdhaus, den Weg zur Spitze ohne Doping zu finden.

Leider passiert das selten genug und wird in unserer Zeit, in der schneller Erfolg gesucht wird, nicht wirklich anerkannt. Deshalb bleibt die Doping-Dunkelziffer gewaltig hoch, und es werden weitere Superstars fallen und Spitzensportler sterben.