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Gefangen im Spiel

Von Eva Stanzl

Wissen

Auf Spielsucht folgt bei vielen der soziale Abstieg. | Betroffen sind doppelt so viele Buben wie Mädchen. | Wien.Sie ist 22 und arbeitslos. Ihre Lehre hat sie abgebrochen, dafür hat sie 8000 Euro Spielschulden und ist in stationärer Behandlung. Per Gericht verordnet.


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Begonnen hat alles mit 16 und einem Automaten. Auf Anhieb entlockte sie dem einarmigen Banditen 140 Euro. Sie lud ihre Clique auf Getränke ein, machte sich einen schönen Abend. Sie war "die Kleine, die das Geld aus dem Automaten holt" - sie war angesehen. Aufgrund einer Erkrankung war die junge Frau kleinwüchsig geblieben. Ihr Selbstwertgefühl änderte sich durch die Gewinne: Im Spiel war sie groß. Als aber ihr Freund sie verließ, zerbrach das fragile Glück. Sie versuchte, die Kränkung durch Spielen wegzudrücken, steigerte den Einsatz, musste immer mehr riskieren, um den gleichen Effekt zu erzielen. Sie tischte Lügen auf, nahm Kredite auf, zog von zu Hause aus, um vor den fragenden Eltern zu fliehen. Stand wegen krimineller Delikte vor Gericht. Das Spiel hatte die Kontrolle übernommen.

"Alles an diesem Beispiel ist typisch für Spielsucht bei Jugendlichen bis auf das Geschlecht - Buben sind doppelt so oft betroffen als Mädchen", sagte Monika Lierzer von der Fachstelle für Glücksspielsucht Steiermark bei einer Fachdiskussion in Wien.

Immer mehr Jugendliche sind, so wie Lierzers Patientin, spielsüchtig. Spielten noch im Jahr 2000 die meisten unter 19-Jährigen höchstens sporadisch im

Internet, sind es zehn Jahre später zwölf Prozent der Jugendlichen. Mindestens einmal die Woche. Weiters kaufen 36 Prozent monatlich Rubbellose und machen sich 17 Prozent regelmäßig an Geldspielautomaten zu schaffen - basierend auf einer aktuellen Studie des deutschen Medienpädagogischen Forschungsverbands Südwest.

"Gelegentliches Spielen bringt eine spannungsgeladene Ungewissheit des Ausgangs. Das Ziel ist eine Veränderung der Befindlichkeit, ein Nervenkitzel. Spielt man regelmäßig, wird es zu einer wiederholten Handlung ohne vernünftige Motivation, deren Ausgang nicht unter dem eigenen Einfluss steht. Das Verlangen überfällt einen impulsartig", sagt Leonard Thun-Hohenstein, Kinderpsychiater an der Universitätsklinik Salzburg.

Reizvolle Verfügbarkeit

Experten erklären sich das wachsende Problem mit der zunehmenden Verfügbarkeit speziell von Online-Glücksspielen. Zudem seien Jugendliche besonders anfällig für Ablenkungen und folgen schlechten Vorbildern auf dem Finanzmarkt: "Allein im Zuge der Wirtschaftskrise haben genug Erwachsene hoch gepokert", betonte Klaus Vavrik von der Österreichischen Liga für Jugendgesundheit.

"In der Pubertät ist das Hirn wie eine Baustelle", so Thun-Hohenstein: "Neue neurologische Strukturen entstehen, sodass sich das Erwachsenengehirn bilden kann. Das bringt auch Defizite." Etwa eine kognitive Unfähigkeit beim Treffen von Entscheidungen. Oder eine hohe Belohnungsnotwendigkeit: "Beinahe-Gewinne verarbeitet der Kopf wie tatsächliche Gewinne", sagt Lierzer. Glücksspiele suggerieren sogar die Möglichkeit von Kontrolle, lösen sie aber nicht ein. Und sie sind mitunter mit anderen Interessen wie etwa Sport verknüpft - der Geldeinsatz kann also auch eine emotionale Komponente haben.

Schätzungen zufolge sind ein bis drei Prozent der Jugendlichen in Österreich pathologische Spieler. Entscheidend für die Schwere dieser Krankheit ist auch, wie früh man damit begonnen hat: "40 Prozent der pathologischen Spieler haben vor dem 18. Lebensjahr begonnen", sagt Lierzer. Dennoch gibt es derzeit zu wenig Prävention: Für Jugendliche werden nur sieben Prozent der Gesundheitskosten aufgewendet. Ein teures Versäumnis.