Einigung auf den Minsker Friedensplan vor einem Jahr war diplomatischer Kraftakt in Ukraine-Krise. Seither hat sich kaum etwas bewegt.
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Kiew/Wien. Die Schlange vor dem Checkpoint westlich von Donezk war diesen Mittwoch schon aus großer Entfernung zu sehen. Der Fahrer eines Minibusses, offenbar bereits der täglichen Warterei an den Kontrollpunkten der Ostukraine müde, entschloss sich kurzerhand, nach links in ein Feld abzubiegen, um sich die Wartezeit zu ersparen. Ein fataler Fehler: Er fuhr mit seinem Bus auf eine Panzerabwehrmine; keiner der vier Passagiere überlebte.
Erst vergangene Woche war ein anderer der vier Checkpoints, an denen man die "Kontaktlinie" zwischen Kiew-kontrolliertem Territorium und den abtrünnigen Gebieten Donezk und Luhansk passieren kann, nach heftigem Beschuss durch Granatwerfer von Seiten der Separatisten geschlossen worden. Das freilich erhöhte den Stau bei den anderen Kontrollpunkten.
Eskalation vor Gesprächen
In den vergangenen Tagen haben die Zusammenstöße - wie immer, wenn wichtige diplomatische Verhandlungen kurz bevorstehen - wieder zugenommen. Beobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) verzeichneten zwischen dem 30. Jänner und 2. Februar mehr als 1000 Brüche des Waffenstillstands. In ihrem jüngsten Bericht sprechen sie von einer "Eskalation der Gewalt", vor allem rund um Donezk und Horlivka. Gleichzeitig vermeldeten sie eine "hohe Anzahl an Waffen in der gesamten Konfliktzone" und dass Waffentechnik, die eigentlich an fixen Punkten abseits der Front eingelagert sein sollte, fehlte.
All diese Geschehnisse widersprechen jenem Friedensplan, der heute vor einem Jahr in einer Marathonsitzung im weißrussischen Minsk ausgehandelt worden war. Die Ukraine und Russland hatten sich unter Vermittlung Deutschlands und Frankreichs auf 13 Punkte geeinigt, um ein Ende des Blutvergießens zu erreichen. Kernpunkte waren neben einem Waffenstillstand ein Sonderstatus für die besetzten Gebiete, die Durchführung von Kommunalwahlen, Amnestien, Gefangenenaustausch und die Wiederherstellung der ukrainischen Kontrolle über die Staatsgrenze zu Russland.
"Ausdruck der Frustration"
Schon damals wollte man sich auch nach dem zäh verhandelten Konsens keinen Illusionen hingeben. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel sprach von einem "Hoffnungsschimmer". Ein Jahr nach dem Abkommen wurde keiner der Punkte vollständig umgesetzt. "Minsk", so heißt es in einem Bericht der Konrad-Adenauer-Stiftung zur Ukraine, "ist ein Ausdruck der Frustration und der gegenseitigen Vorwürfe geworden". Aus Moskau heißt es, Kiew sei am Zug, die Bestimmungen umzusetzen. Kiew wiederum sagt, Moskau und die Separatisten seien am Zug. "Und jeder hat irgendwie recht", sagte der OSZE-Vermittler Martin Sajdik jüngst in einem Interview mit der "Presse".
Trotz Waffenstillstandsvereinbarung hat der Konflikt seit Mitte Februar des Vorjahres 3400 Menschen das Leben gekostet, insgesamt beläuft sich die Opferzahl auf 9100 Menschen. Immerhin gab es - abgesehen von der Eroberung des Verkehrsknotenpunktes Debaltsewe durch die Aufständischen kurz nach der Minsk-2-Vereinbarung - keine nennenswerten Verschiebungen der Frontlinie. Auch Bahnlinien wurden wieder errichtet, Wasser- und Stromversorgungsinfrastruktur wieder instandgesetzt. Aber Stellungskämpfe, Artilleriebeschuss und Minen fordern weiter viele Opfer, heißt es in dem Konrad-Adenauer-Bericht.
Der Abzug schwerer Waffen ist für die OSZE-Beobachter nur schwer zu verifizieren, denn ihnen wird oft der Zutritt zu bestimmten Gebieten verweigert. Höchst umstritten ist darüber hinaus weiter ein "Sonderstatus" für die besetzten Gebiete. Präsident Petro Poroschenko will eine lokale Selbstverwaltung ermöglichen, eine umfassende Autonomie aber verhindern. Die dafür notwendige Verfassungsänderung - die Moskau und die Separatisten in der jetzigen Form ohnehin ablehnen - ist innenpolitisch aber höchst umstritten und kaum durchsetzbar. Gleich umstritten sind die Kommunalwahlen in den Separatistengebieten. Die Rebellen lehnen etwa eine Beteiligung von ukrainischen Parteien ab. Unklar ist zudem, ob die Binnenflüchtlinge - ihre Zahl wird von 1,4 bis 2,5 Millionen Menschen angegeben - an der Wahl teilnehmen dürfen.
Frust durch Wirtschaftsblockade
Auch die Verhandlungen über die Wiederherstellung der wirtschaftlichen und sozialen Verbindungen laufen schleppend. Kiew hat sich bei der Bevölkerung in den Separatistengebieten durch die Einstellung der Sozialleistungen und die Wirtschaftsblockade unbeliebt gemacht. So müssen weiterhin tausende Menschen stundenlange Wartezeiten an den Kontrollposten in Kauf nehmen, um Medikamente, günstigere Lebensmittel oder Sozialleistungen in von Kiew kontrolliertem Gebiet zu erhalten.
Am Samstag, am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz, soll die festgefahrene Situation diskutiert werden. Hoffnung auf eine Lösung des Konflikts sehen manche Experten in der angespannten Wirtschaftslage in Russland - Moskau habe deswegen großes Interesse, die westlichen Sanktionen, die an die Erfüllung des Minsk-Prozesses geknüpft sind, loszuwerden.