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Gefechtslärm in Prag - dennoch sind die Lager zur Kooperation verurteilt

Von Alexandra Klausmann

Analysen

Es wird schon mehr als bloße Postenschacherei sein, wenn Tschechiens Sozialdemokraten das Amt des Parlamentspräsidenten so vehement für sich einfordern. Es steht enorm viel auf dem Spiel und deshalb versuchen die Bürgerdemokraten (ODS), einen sozialdemokratischen Parlamentspräsidenten mit allem Mitteln zu verhindern: Dem Chef des Prager Abgeordnetenhauses schreibt die Verfassung nämlich im Krisenfall die Rolle als Königsmacher zu.


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Sollte eine ODS geführte Regierung in zwei Vertrauensabstimmungen im Parlament scheitern, fiele dem Vorsitzenden des Unterhauses die Aufgabe zu, im dritten Anlauf den Regierungschef zu bestimmen. Sollte auch der dritte Versuch kein Resultat - sprich keine funktionsfähige Regierung - ergeben, sieht die tschechische Verfassung Neuwahlen vor. Bis diese Bestimmung in Kraft tritt, wird es noch mindestens zwei Monate dauern. Schlimmstenfalls wird bis dahin die politische Unsicherheit weiter herrschen, die das Unentschieden der Parlamentswahlen hervorgebracht hat.

Der Ball liegt jedenfalls bei Noch-Premier Ji ø i Paroubek und den Sozialdemokraten. Erst wenn sie Farbe bekennen, wird sich abzeichnen, in welche Richtung Tschechien gehen wird. Im Augenblick scheint Paroubeks Politik eher verwirrt und verwirrend: Am Montag erklärt er kampflustig, er werde eine Dreierkoalition aus ODS, KDU-CSL und Grünen nur dann unterstützen, wenn sie programmatische und personelle Änderungen vornehmen würden. Am Mittwoch kündigt er auf einmal dienstfertig den freiwilligen Rücktritt seines Kabinetts an, angeblich um einer Regierung seines Widersachers Topolánek die Türe zu öffnen. Dafür beanspruche er das Amt des Parlamentschefs, so Paroubek.

Oppositionsvertrag als pragmatische Lösung?

Es wäre nicht das erste Mal, dass die Opposition in Tschechien den Parlamentspräsidenten stellt. Zwischen 1998 und 2002 nahm dieses Amt der damalige ODS Vorsitzende und heutige Präsident Václav Klaus ein, Ministerpräsident war der Sozialdemokrat Milo Zeman. Damals hatten die Wahlen ebenfalls eine relativ unsichere Situation hervorgebracht. In bester pragmatischer Tradition einigte man sich damals auf einen sogenannten Oppositionsvertrag: Die ODS tolerierte eine sozialdemokratische Minderheitenregierung.

In der Praxis war dieses Modell nicht weit von einer großen Koalition entfernt. Die wäre in der jetzigen Situation die beste Lösung. Darüber sind sich politische Beobachter weitgehend einig. Doch bis es soweit ist, werden die großen Parteien, schon dem eigenen Gewissen und dem Wähler zuliebe, zumindest vorgeben, alle Alternativen auszuschöpfen. Die Vorsitzenden beider Lager weisen die Möglichkeit einer großen Koalition so weit von sich, dass es schon fast verdächtig wirkt. "Auf gar keinen Fall," sagt Paroubek zum Stichwort große Koalition, fügt aber gleich hinzu: "zu diesem Zeitpunkt".