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Gefieder als Giftstoff-Deponie

Von Frank Ufen

Wissen
Farbstoffe in der Nahrung bringen Papageien zum Strahlen.
© © © Frans Lanting/Corbis

Der Zoologe Josef Reichholf erkennt Parallelen zur Welt der Säugetiere.


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Berlin. Nach herkömmlicher Auffassung haben die Männchen etlicher Tierarten das Pech, sich mit irgendeinem Handicap abplagen zu müssen. Als solche gelten sperrige Geweihe oder Gehörne ebenso wie grellbunte Gefieder, ellenlange Mähnen oder halsbrecherische Balzrituale. Besonders schlimm scheint der Pfauenhahn dran zu sein. Offensichtlich kostet ihn sein imposantes Schwanzgefieder einen ungeheuren Aufwand an Energie, belastet ihn auf Schritt und Tritt, macht seine Feinde auf ihn aufmerksam und behindert ihn bei der Flucht.

Nach Darwins Theorie der sexuellen Selektion haben sich solche extravaganten körperlichen Merkmale und Verhaltensweisen entwickelt, weil die Weibchen anhand dieser Eigenschaften herauszufinden versuchen, mit welchen Männchen sie sich paaren sollten und mit welchen nicht.

Die Theorie der israelischen Biologen Amotz und Avishag Zahavi stützt sich auf Darwin, kreidet ihm jedoch an, einen Umstand von grundlegender Bedeutung übersehen zu haben: Je kräftiger und widerstandsfähiger ein Männchen ist, desto eher ist es in der Lage, trotz schwerer Behinderungen in feindlicher Umwelt zu überleben. Gerade deswegen zeigen die Handicaps den Weibchen zuverlässig an, wie es um die Fitness ihrer Freier bestellt ist.

Analyse des Stoffwechsels

Laut dem Münchner Zoologen Josef Reichholf sind die Zahavis auf dem Holzweg, wenn sie unterstellen, dass das männliche Geschlecht im Gegensatz zum weiblichen seiner Umwelt mangelhaft angepasst wäre. In Wahrheit sei sogar ein vermeintliches Luxusgeschöpf wie der Pfauenhahn bestens dafür gerüstet, sich im Kampf ums Dasein zu behaupten.

Nach Reichholf gibt es nämlich ohnehin nicht viele Raubtiere, die dem Pfauenhahn gefährlich werden. Zwar muss er vor Leoparden auf der Hut sein. Aber gerade sein Schmuckgefieder dient ihm von hinten als Schutzschild. Außerdem kann er es jederzeit abwerfen, um aus Raubtierfängen entkommen zu können.

Um den Sinn dieser Merkmale zu begreifen, ist laut Reichholf eines unabdingbar: die Analyse der Stoffwechselprozesse in ihrer Gesamtheit. Die Vögel der Tropen etwa fallen überall mit ihrem grellbunten Gefieder auf. Dass sie damit ausgestattet sind, verdanken sie einzig und allein ihrem Stoffwechsel. Tropische Vögel ernähren sich in erster Linie von Früchten, die reich an Farbstoffen sind. Um sich dieser Farbstoffe zu entledigen, die für sie teils giftig und nutzlos sind, deponieren sie - effizienterweise - das ganze Zeug in ihren Federn.

Auch Vögel in anderen Klimazonen machen Pigmente zu schaffen. Sogar die Melanine, die braune und schwarze Farbtöne hervorbringen, sind nicht harmlos - sie bestehen aus toxischen Phenolkörpern. Also werden die Melanine in die Federn befördert, wo sie nicht viel Schaden anrichten können. Oft fällt auch mehr Eiweiß an, als die Vögel verbrauchen können. Es abzubauen, kostet viel Energie, und beim Abbau von schwefelhaltigen Aminosäuren kann sich zudem gefährlicher Schwefelwasserstoff bilden. Die Vögel schaffen sich das überschüssige Eiweiß samt des Giftmülls vom Hals, indem sie sich regelmäßig mausern. Reichholf vermutet sogar, dass die Evolution die Vogelfeder nicht als Flugapparat erfunden hat, sondern um überschüssiges Eiweiß und schädliche Eiweißbestandteile aus dem Körper zu entfernen.

Ausgeglichene Bilanz

Übrigens deutet einiges darauf hin, dass der Mensch sein Fell nicht zur Gänze abgelegt hat, um in den übrig gebliebenen Haaren giftige Stoffwechselprodukte unterbringen zu können. Im Zentrum dieser Theorie steht eine weitreichende Schlussfolgerung: Bei den Vögeln besteht zwischen dem Stoffwechsel der Weibchen und dem der Männchen immer eine ausgeglichene Bilanz. Was etwa die Pfauenhennen an Baustoffen in Form von Proteinen für die Erzeugung von Eiern aus ihrem Körper abgeben, das ist mit den Stoffen äquivalent, die in den Prachtgefiedern der Pfauenhähne stecken. Dasselbe gilt nach Reichholf für die Energiebudgets der Geschlechter. So verschlingt die Erzeugung der Eier genau so viel Energie wie die Herstellung der Federn des Rades. Und die Energiemenge, die die Pfauenhenne investieren muss, um ihr Gelege zu bebrüten, entspricht exakt der Energiemenge, die der Hahn aufbringen muss, um seine Schmuckfedern zum Rad aufzustellen und sie rascheln zu lassen.

Ähnlich verhält es sich mit etlichen anderen Vogelarten. Dass manche Vögel sich ein Prachtgefieder zulegen, während andere sich auf eine Schaubalz oder auf die Gesangskunst spezialisieren, sei davon abhängig, aus welchen Bestandteilen sich die Nahrung zusammensetzt. Reichholf ist sich sicher, dass es für all dies auch Parallelen in der Welt der Säugetiere gibt: Demnach entspricht das Prachtgeweih des Hirschbocks in seinem Kalziumphosphat-Gehalt exakt dem, was die Hirschkuh zum Aufbau der Knochen ihrer Kälber investieren muss. "Männliches Brunftgehabe wäre somit geradezu ein physiologisches Abbild der weiblichen Schwangerschaft." Ob die Theorie tragfähig ist, lässt sich jedenfalls leicht empirisch überprüfen.

Buchtipp:

Josef H. Reichholf: Der Ursprung der Schönheit. C. H. Beck Verlag, 318 Seiten, 19,95 Euro.