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Gefühle in der Post-Moderne

Von Otto Penz und Birgit Sauer

Reflexionen

"Affektives Management" heißt die neue Anforderung an Arbeitende im Dienstleistungsbereich. Eine Studie zeigt, wie Postbedienstete emotional umgerüstet werden.


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Es ist mehr als vierzig Jahre her, dass Daniel Bell in seinem Buch "The Coming of Post-Indus-trial Society" die Verwandlung der US-amerikanischen Industriegesellschaft in eine post-industrielle Dienstleistungs-, Informa-
tions- bzw. Wissensgesellschaft prognostizierte. Er sprach damit einen kapitalistischen Transformationsprozess an, der weitreichende soziale Folgen für das Erwerbsarbeitsleben, das Bildungssystem und die berufliche Ausbildung, aber auch die Familien- und Geschlechterverhältnisse nach sich ziehen sollte. Heute hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass es mehr denn je an der Wissensproduktion, an den kognitiven Fähigkeiten, der Kreativität und Innovativität der Arbeitskräfte liegt, ob die Wirtschaft der ehemaligen Industrienationen Bestand hat.

<p>Parallel zu dieser ökonomischen Entwicklung veränderte sich die Form von Staatlichkeit, wie sie in Europa nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges entstand. Einerseits sticht die Internationalisierung politischer Entscheidungsprozesse durch die Europäische Union ins Auge, andererseits - und mindestens ebenso auffällig - setzte sich, angetrieben durch gesamteuropäische Direktiven, eine neue Regierungsweise durch, die sich in Stichworten so charakterisieren lässt: weniger Sozialstaat, mehr Eigenverantwortung der Bürger und Bürgerinnen; Privatisierung und Vermarktlichung vormaliger öffentlicher Dienstleistungen und der öffentlichen Infrastruktur; Forcierung von Public-Private-Partner-ships; wettbewerblich organisiertes Handeln der staatlichen Verwaltung; Schutz der inneren Sicherheit, auch auf Kosten der individuellen Freiheiten.

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Wettbewerbsstaat

<p>Staatlichkeit macht sich wirtschaftliche Organisationsprinzi-pien zu Eigen, und politisches Handeln zielt auf die Herstellung von Märkten und marktwirtschaftlichem Wettbewerb ab.<p>In diesem Kontext haben wir unsere Studie (siehe Literaturangabe) angesiedelt, die sich mit der Arbeitsorganisation unter den neuen ökonomischen und politischen Verhältnissen beschäftigt. Die Untersuchung beleuchtet eine der Schnittstellen zwischen dem Staat, in Form des neuen Wettbewerbsstaats, und der Gesellschaft. Wir thematisieren die Umwandlung eines Teiles der Hoheitsverwaltung in ein Dienstleistungsunternehmen und die neue Ansprache der Bürger und Bürgerinnen als Konsumenten.<p>Im Fokus unserer Studie stehen die Arbeitsprozesse an den Universalschaltern österreichischer Postfilialen, also an jenen Arbeitsplätzen, an denen Beschäftigte der Post, darunter immer noch viele Beamte, in Kontakt mit Kundschaft treten. Diese Arbeitskräfte repräsentieren einerseits das Dienstleistungsunternehmen Post, andererseits gestalten sie durch ihre Arbeitstätigkeit das Bild, das sich die Öffentlichkeit von der Post macht, ständig neu.<p>Warum untersuchen wir ausgerechnet die Post und die Erwerbsarbeit von Postbediensteten? Zum einen stellt die Ausgliederung und Privatisierung der Post ein bezeichnendes Beispiel für die Neuordnung von Staatlichkeit im oben angesprochenen Sinn dar. Straffung der staatlichen Bürokratie im Zeichen der Kosteneffizienz, Privatisierung jener Teile des öffentlichen Dienstes, die ökonomischen Gewinn versprechen, Reorganisation der Verwaltung nach marktwirtschaftlichen Prinzipien - all diese Entwicklungen lassen sich bei der Post wie in einem Brennglas beobachten, von der Umwandlung des Post-und Telegrafenamts in eine Aktiengesellschaft 1996 bis hin zum Börsengang nur zehn Jahre später.<p>In diesem Zeitraum wird der Shareholder value zur zentralen Messlatte des unternehmerischen Erfolgs der Post. Diese hört auf, ein Dienst im Interesse der Allgemeinheit zu sein, und verfolgt nunmehr ein partikularistisches ökonomisches Ziel, nämlich Gewinnmaximierung. Zum anderen stellen die Arbeitsaufgaben und -ziele, die im Zuge dieser Umstrukturierung an Bedeutung gewinnen, Musterbeispiele für die gegenwärtige Dienstleistungskultur dar. Aufgrund der unternehmerischen Neuausrichtung geht es auch bei der Post um Kundenorientierung, d.h. um interaktive und kommunikative Fähigkeiten der Postmitarbeiter und -mitarbeiterinnen, die das Geschäft beleben und den Verkauf steigern sollen.<p>Diese Dienstleistungsarbeit besteht weniger darin, Kundschaft durch Sachargumente vom Kauf einer Postdienstleistung zu überzeugen, sondern vielmehr in der richtigen Adressierung der Gefühle der Kunden und Kundinnen. Das Herzstück der interaktiven Dienstleistungsarbeit bildet die Modulierung der Gefühle des Dienstleisters, also der Postbediensteten am Schalter, um die Kundschaft emotional anzusprechen und gleichsam zu verführen.<p>Wir nennen diese Art der Erwerbstätigkeit affektive Arbeit, die darauf abzielt, andere Menschen in gewünschter Weise zu affizieren, d.h. in unserem Fall, Postkundschaft wie selbstverständlich zum Kauf zu animieren. Die Angestellten der Post sollen Kundenfreundlichkeit und Einfühlungsvermögen an den Tag legen, sie sollen Vertrauen in Postprodukte herstellen und stärken oder auch den Ärger der Kundschaft besänftigen und Konflikte in den Postfilialen kalmieren. Zentral im heutigen Erwerbsleben seien die Schlüsselqualifikationen, die sogenannten Soft skills, so die einschlägige Forschungsliteratur: kommunikative und affektive Kompetenzen, die über das rein fachliche Wissen hinausgehen.<p>

Eigener Gefühlskanon

<p>Die affektiven Fähigkeiten, die im Dienstleistungsbereich zum Tragen kommen, sind kulturspezifisch und erlernt. Das subjektive Gefühlsmanagement gehorcht den Regeln, die in der Gesellschaft insgesamt bzw. in Teilbereichen des sozialen Lebens gelten. Organisationen und Unternehmen kreieren zum Teil ihren eigenen Gefühlskanon. Dienstleistungsunternehmen wie die Post halten ihre Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen dazu an, Gefühle auf ganz spezifische Weise zu steuern und einzusetzen - nämlich so, dass es den unternehmerischen Zielen dient.<p>Wir sprechen in diesen Zusammenhängen von Subjektivierungsprozessen, die in der Erwerbsarbeit (aber auch im Elternhaus oder in der Schule) stattfinden und zur Formung der Persönlichkeit, zur Subjekt-Werdung, beitragen, und zwar inklusive des Gefühlslebens. Die unternehmerische Steuerung der Arbeitskräfte führt, so besehen, zur Verinnerlichung oder, besser, Somatisierung organisationaler Gefühlsnormen, d.h. sie formt die Subjekte bis in körperliche Tiefenschichten.<p>Bei der Post existiert eine ganze Reihe von Anreiz- und Kon-trollsystemen, die einerseits das betriebliche Engagement und die Identifikation der Beschäftigten mit dem Unternehmen stärken und andererseits das Affektmanagement in den Dienst des Verkaufs stellen sollen. Die betriebliche Steuerung erfolgt durch Prämiensysteme für den guten Verkauf von Post- und Finanzdienstleistungen, durch Gewinnbeteiligungen, aber auch durch symbolische Gratifikationen wie Preisverleihungen. Unterfüttert wird dieses Belohnungssystem durch die systematische Kontrolle der individuellen Arbeitsleistung, durch Teamsitzungen, um Verkaufsziele festzulegen, und nicht zuletzt durch stichprobenartige Überprüfungen der Dienstleistungsqualität, sprich: der Kunden- bzw. Kundinnenorientierung, in den Filialen (zum Zeitpunkt unserer Untersuchung etwa durch sogenannte Mystery shopper).<p>Erzeugt wird dadurch, zumindest tendenziell, eine unternehmerische Haltung der Postbediensteten ganz im Sinne der betrieblichen Verkaufsziele, ein Prozess, der dann widerstandslos funktioniert, wenn sich die Arbeitskräfte die organisationalen Anforderungen zu eigen machen, also von sich aus wollen, was sie tun sollen.<p>

Filiale als Wohnzimmer

<p>Unsere Untersuchungsergebnisse deuten darauf hin, dass bei den Postbediensteten eine Art Verinnerlichung ökonomischer Interessen stattgefunden hat, was sich nicht nur darin zeigt, dass "verkaufen, verkaufen, verkaufen", wie ein Angestellter formulierte, als übergeordnetes Ziel wahrgenommen wird und dafür auch zeitliche Entgrenzungen der Erwerbsarbeit in Kauf genommen werden. Mindestens ebenso wichtig ist, dass sich das Gefühlmanagement der Beschäftigten am unternehmerischen Erfolg ausrichtet.<p>Die Zufriedenheit der Kundschaft dient dabei als Richtschnur. "Die Filiale soll für einen Kunden wie ein Wohnzimmer sein", erklärte uns eine Postmitarbeiterin: "Er muss sich einfach in der Filiale wohlfühlen. Da gehören Mitarbeiter, die kundenfreundlich sind, dazu, die Optik der Filiale muss passen . . ." Die Atmosphäre insgesamt muss stimmen, ganz abgesehen davon, dass Verkaufen Fingerspitzengefühl und Empathie erfordert.<p>Die Befunde aus unserer Untersuchung der Post reihen sich in eine wachsende Zahl von Forschungsergebnissen ein, die zum Schluss kommen, dass die ökonomischen, staatlichen und sozialen Transformationen der letzten Jahrzehnte einen neuen Subjekttypus hervorbringen: ein "unternehmerisches Selbst", das sich in Konkurrenz zu anderen konstituiert. Wir versuchen mit Blick auf eine typische Form von Dienstleistungsarbeit zu zeigen, dass diese Entwicklung eine wichtige emotional-affektive Dimension hat - und damit ein affektives Selbstunternehmertum bzw. "affektives Kapital" entsteht, das tief im Körper verankert ist.

Neu erschienen:
Otto Penz, Birgit Sauer
Affektives Kapital. Die Ökonomisierung der Gefühle im Arbeitsleben. Campus Verlag, Frankfurt/M. 2016, 240 Seiten, 36.- Euro.

Otto Penz lehrt Soziologie an der Universität Wien und an der Wirtschaftsuniversität Wien.

Birgit Sauer ist Professorin am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien.