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Katmandu - Sechs maskierte Männer, bewaffnet mit Pistolen und einer Flinte, klopfen an das Vorderportal der Coca-Cola-Fabrik. Sie seien von der Polizei, rufen sie den verdutzten Sicherheitsleuten der Firma zu. Als sie aufgefordert werden, ihre Ausweise zu zeigen, springen die Vermummten über die Sicherheitsabsperrungen, fordern die Anwesenden auf, das Gebäude zu verlassen und legen zwei Bomben, die bald darauf detonieren. Verletzt wird niemand.
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Schauplatz des filmreifen Überfalls ist Katmandu, die Hauptstadt des gebirgigen Königreiches Nepal. Die Protagonisten sind Angehörige der maoistisch-kommunistischen Rebellenarmee, die seit der Nacht auf vergangenen Samstag das Land am Himalaya in Unruhe versetzen. Als oberstes politisches Ziel haben sie sich den Sturz der verhassten Monarchie an die Fahnen geheftet.
Startschuss für den jüngsten Höhepunkt einer Auseinandersetzung, die seit 1996 andauert und bereits 2000 Menschen das Leben gekostet hat, war der Überfall von rund 1000 Maoisten auf einen Polizeiposten im Bezirk Syangya. Seither befindet sich das 23 Millionen Menschen zählende Nepal erneut am Rande eines Bürgerkrieges. Am Montag beschloss die Regierung die Ausrufung des Notstandes, setzte Soldaten statt wie bisher Polizisten zur gezielten Bekämpfung der Rebellen ein und bat das Ausland um militärische Unterstützung. Die wurde von Indiens Staatspräsident Vajpayee prompt zugesichert. Auch die USA erwägen, den Kampf der nepalesischen Regierung zu unterstützen.
Steht Nepal ein langwieriger und blutiger Bürgerkrieg bevor? Obwohl viele Anzeichen darauf hindeuten, verneinen die meisten Beobachter diese Frage. Yubaraj Ghimire, Chefredakteur des viel gelesenen nepalesischen Blattes "Kantipur", spricht zwar in Hinblick auf die derzeitige Situation von "Krieg", meint aber in Anlehnung an die von den USA in Afghanistan geführte Kampagne, dass es sich um eine begrenzte Auseinandersetzung mit Terroristen handle. Andere internationale Experten räumen zwar ein, dass in dem bitterarmen Land - rund 50 Prozent der Bevölkerung müssen von weniger als einem Dollar pro Tag leben - alle Vorraussetzungen für eine Eskalation gegeben wären. Den Maoisten mangle es aber an den Voraussetzungen zur Ausweitung ihres Kampfes: Geschätzt wird, dass es sich bei den Aufständischen um bloß 5-10.000 Mann handelt, die überdies unter der Bevölkerung nicht sonderlich beliebt sind. Eine brutale Taktik, bestehend aus Mord, Einschüchterung und Entführung war bisher kaum geeignet, den Rebellen die Herzen der Menschen zufliegen zu lassen.
Was den Aufständischen außerdem fehlt, ist die nötige Unterstützung von außen. Die Maoisten geben sich zwar pro-Chinesisch, auf Hilfe aus dem Reich der Mitte können sie trotzdem nicht hoffen. China hat längst akzeptiert, dass das Gebirgsland an der südlichen Grenze der indischen Interessensphäre zuzurechnen ist. Und Indien unterstützt jetzt ganz offen die nepalesische Regierung.