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Ein Verein will Flüchtlingen die Chance auf einen Schulabschluss und höhere Bildung geben.
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Wien. Der Verein "Prosa" bietet Asylwerbern einen Pflichtschulabschluss und kämpft dagegen an, dass Flüchtlinge an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden.
"Wenn es eine Aufforderung ist!", sagt Fazela in holprigem Deutsch auf die Frage ihres Lehrers, wann am Ende eines Satzes ein Rufzeichen steht. Die wörtliche Rede steht am Programm. Wofür man diese brauche, möchte der Lehrer wissen. "Um etwas zu sagen", meint eine andere Schülerin vorsichtig. Basisdinge werden in dieser Klasse im sechsten Wiener Gemeindebezirk vermittelt. Man lernt Deutsch, und zwar von Grund auf.
Es ist Freitagnachmittag. Die ordentlichen Schüler des Gymnasiums in der Rahlgasse haben die Schule bereits verlassen, das Wochenende steht vor der Tür. Doch da belebt sich ein Raum am Ende des Ganges im zweiten Stock wieder, neue Schüler trudeln ein, Schüler, die tagsüber nicht in diesen Klassenzimmern sitzen. Sie scherzen miteinander, lachen, boxen sich gegenseitig auf die Schulter, versuchen zu imponieren. Wie Jugendliche sich eben so verhalten.
Verschiedene Nationalitäten versammeln sich, man unterhält sich, mal auf Deutsch, mal in anderen Sprachen. In einer Ecke sagt ein Mädchen vor einer Kamera, was Heimat für sie bedeutet. "Heimat ist, wo man sich gut fühlt . . . und sicher." Es ist das Büro von "Prosa", dem 2012 gegründeten Verein "Projekt Schule für alle", der es sich zur Aufgabe gesetzt hat, jugendlichen Asylwerbern einen Pflichtschulabschluss zu ermöglichen. Die Lichter in den Klassenzimmern werden also wieder aufgedreht, die Schüler nehmen an den Schulbänken Platz, die Köpfe beginnen zu rauchen. Jener von Fazela etwa. Sie ist fünfzehn Jahre alt und seit sieben Monaten in Österreich. Eigentlich wollte sie in ein Gymnasium gehen, hat bei verschiedenen Schulen angefragt. Aber keine Chance, die Schulen wollten sie nicht aufnehmen. Daher ist sie froh, dass es "Prosa" gibt, denn hier kann sie erst einmal in Ruhe Deutsch lernen und das neunte Schuljahr abschließen. Später möchte sie Ärztin werden.
Pflichtschule für Asylwerber
"Es gab eine Lücke im österreichischen Schulsystem", so Sina Farahmandnia, Mitbegründer des Vereins. "Eine Lücke, die aus Boshaftigkeit oder Inkompetenz nicht geschlossen wird", wie er trocken feststellt. Was er meint, sind jugendliche Asylwerber, konkret also etwa 15-jährige, die in Österreich nicht zur Schule gehen könnten, weil hier Oberstufen im Gegensatz zu den Unterstufen nicht verpflichtet sind, Schüler aufzunehmen. Was zur Folge hat, dass diesen Jugendlichen ein Schulabschluss und damit die Chance auf weitere Bildung verwehrt bleiben. Genau dagegen kämpft "Prosa" an und hat kurzerhand selber ein Schulsystem auf die Beine gestellt, in dem Asylwerber das neunte Schuljahr, also die Pflichtschule, abschließen können. Zuerst einmal müssen die Schüler Basiskurse in Deutsch absolvieren, dann erst können sie das normale neunte Schuljahr machen, wo sie, wie alle anderen Schüler auch, in den hier üblichen Gegenständen unterrichtet werden.
Daneben bietet der Verein auch Deutschkurse für alle Altersklassen. In so einem sitzt auch die 28-jährige Ilnaz aus dem Iran. Sie hat bereits ein Diplom als Grafikdesignerin in Teheran gemacht, in Österreich ist sie seit einigen Monaten und verdient ihr Geld als Babysitterin. Ihr Traum wäre es, wieder ihren gelernten Beruf ausüben zu können. Solange sie nicht Deutsch spricht, ist das unmöglich. Hier liegt das Problem, das bereits der französische Soziologe Pierre Bourdieu beschrieb: Dass nämlich durch Sprache, als mitbestimmendes Element des Habitus, die soziale Schicht, der man zugeordnet wird, definiert wird. Spricht man nicht die Sprache des Landes, in dem man sich aufhält, wird der soziale Status automatisch herabgesetzt, ganz gleich welche Qualifizierung man eigentlich hat.
"Prosa" versucht, dieses Ungleichgewicht auszugleichen und tut dabei mehr, als nur einen Schulabschluss anzubieten. Die Mitarbeiter - viele von ihnen sind ehrenamtlich tätig - unterstützen die jungen Menschen in ihrem Alltag. Die Asylwerber sollen hier aber nicht nur als Menschen gesehen werden, die Hilfe benötigen, sondern auch als Menschen, die Hilfe geben. "Diese Rollenumkehr ist ganz wichtig, vor allem bei Menschen, die massiv an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden!" Diese Einstellung ist auch in den Kursen selbst spürbar: Mit Schülern wird nicht geschimpft, Regeln werden gemeinsam erarbeitet.
"Flüchtlinge willkommen"
Angesichts der aktuellen Flüchtlingsströme sind Einrichtungen wie diese wichtiger denn je, denn sie fangen Jugendliche auf, die ansonsten durch den Rost fallen würden. Bei dem zweiten Projekt, das von denselben Leuten betrieben wird, die auch "Prosa" betreiben, schlagen sich die Zahlen der Neuankömmlinge bereits deutlich nieder. Bei diesem, es läuft unter dem Namen "Flüchtlinge willkommen", wird versucht, Wohnräume für selbige zu organisieren. Das Projekt vermerkt seit den letzten Monaten einen rasanten Anstieg der Anmeldungen, der Andrang ist mittlerweile enorm. Es geht darum, den Differenzbetrag zwischen den 120 Euro, den die Flüchtlinge monatlich für ihre Miete vom Staat erhalten, und dem tatsächlichen Mietpreis aufzutreiben - wieder durch private Finanzierung. Niemand soll auf der Straße landen, so das Ziel des ambitionierten Vorhabens. "160 Mal hat es schon funktioniert in Österreich, davon hatten wir nur in den letzten drei Monaten an die 50 Vermittlungen", so Farahmandnia. Tendenz steigend.
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