Am 1. Juli tritt in Österreich das Heimaufenthaltsgesetz in Kraft. Damit gibt es erstmals eine Rechtsgrundlage, die festlegt, welche Freiheitsbeschränkungen bei der Alten- und Behindertenpflege zulässig sind und welche nicht.
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Steckgitter am Bett, Gurtenfixierung an den Rollstuhl, medikamentöse Sedierung - Versuche, psychisch kranke, verwirrte oder demente Heimbewohner von unerwünschten Betätigungen oder Fluchtversuchen abzuhalten, fanden bisher in einer juristischen Grauzone statt. Zehn Jahre lang wurde im Justizministerium an einem Gesetzesentwurf gefeilt, der jetzt - geht es nach den geistigen Vätern des neuen Gesetzes - Klarheit bringen soll.
"Heimbewohner und deren Angehörige sollen wissen, worauf sie sich einlassen, wenn ins Heim übersiedelt wird," erklärte Georg Kathrein, Zivilrechts-Legist im Justizministerium, bei der Richtertagung in Saalfelden. Kathrein hofft auf mehr Transparenz, besseren Grundrechtsschutz und "dass das Pflegepersonal nicht länger mit einem Fuß im Kriminal steht". Rund 130.000 pflegebedürftige Menschen in 1.500 Einrichtungen werden vom Geltungsbereich des neuen Gesetzes umfasst.
Sollen psychisch beeinträchtigte Insassen von Alters-, Pflegeheimen oder Krankenanstalten in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt werden, muss dies künftig gemeldet und dokumentiert werden. Unter die Regelung fallen physische Zwangsmittel, Medikamente, elektronische Überwachung sowie bauliche Maßnahmen. Auch kurzzeitiges Anbinden, Einsperren oder die bloße Androhung einer solchen Maßnahme sind umfasst. Zulässig sind Freiheitsbeschränkungen dann, wenn eine ernstliche und erhebliche Selbst- oder Fremdgefährdung besteht und die gewählte Maßnahme das schonendste Mittel ist, den angestrebten Zweck zu erfüllen.
Maßnahmen hinterfragen
Angeordnet wird die Maßnahme in der Regel von einem Arzt. Der gesetzliche Vertreter des Betroffenen und der so genannte Bewohnervertreter sind zu informieren. Letztgenannte Institution hat die Maßnahme zu hinterfragen und soll zwischen Heimleitung, Betreuern, Angehörigen und Pflegebefohlenen vermitteln. Ein Antrag zur gerichtlichen Prüfung einer Freiheitsbeschränkung kann vom "Bewohnervertreter", vom Bewohner selbst, von dessen gesetzlichem Vertreter, seiner Vertrauensperson oder vom Leiter der Einrichtung eingebracht werden.
Ungewiss ist derzeit, wie viele Fälle an die Gerichte herangetragen werden. Ebenso wie Kathrein vermutet aber auch Familienrichter Franz Mauthner, "dass die Zahlen eher gering sein werden". Keine Antwort biete das Heimaufenthaltsgesetz dort, wo es darum geht, ob überhaupt ins Heim übersiedelt werden soll: "Die meisten Menschen sagen, dass sie nicht ins Heim wollen". Überhaupt sei der gesamte private Bereich ausgeklammert. Stefan Wallner, Generalsekretär der Caritas Österreich, erinnert daran, dass 80 Prozent der Pflege in Österreich in der Familie erfolgen. Wallner: "Ohne familiäre Hilfe würde die gesamte Versorgung zusammenbrechen. Aber wie viele Leute zu Hause eingesperrt werden, möchte ich gar nicht wissen."