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Rom - Keine Busse, keine Metro, keine Autos. Nicht ein Streik hielt Rom vergangenen Samstag in Atem, es war vielmehr eine Protestveranstaltung gegen Ministerpräsident Silvio Berlusconi. Was als kleine Demonstration geplant war, wurde zu einer riesigen Kundgebung. Seit dem Morgen kamen die Sonderbusse und -züge aus Florenz, Venedig und Bologna. Die Piazza, die rund 350.000 Menschen fasst, war voll. Zusätzlich waren die Zufahrtsalleen überfüllt. "Von über 500.000 Menschen kann mit Sicherheit ausgegangen werden," so Ordnungskräfte.
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Zu der Veranstaltung war von den Organisatoren der Girotondi (wörtlich: Ringelreihen) aufgerufen worden, um gegen das so genannte Justizgesetz zu protestieren. Politiker der Opposition waren als Redner unerwünscht. "Die Girotondi manifestieren die Stimme des Volkes. Wir machen keine Politik. Die Abgeordneten kämpfen im Parlament, wir kämpfen auf der Straße", begründete Italiens Star-Regisseur Nanni Moretti die Entscheidung der Veranstalter.
Politiker und Schauspieler
Doch die Politiker ließen sich dennoch blicken. Der Gewerkschaftsführer Sergio Cofferati mischte sich ebenso unter das Volk wie der linksdemokratische Politiker Piero Fassino und DS-Vorsitzender Luciano Violante. Auch Roms Bürgermeister Walter Veltroni besuchte die Veranstaltung. Die Bühne blieb aber der intellektuellen Elite vorbehalten: Literaturnobelpreisträger Dario Fo und die Schauspielerin Franca Rame, Anwälte, Historiker, Professoren protestieren gegen das nach Richter Melchiorre Cirami benannte Gesetz. "Laut diesem Gesetz darf der Angeklagte, falls ein gerechtfertigter Verdacht über die Unparteilichkeit des Richters herrscht, die Übertragung des Prozesses an ein anderes Gericht beantragen. Berlusconi will die Rechte der Justiz beschneiden, um seinen Hals und den seiner Freunde aus der Schlinge zu ziehen. Eine Schande!", so eine römische Anwältin. "Das Gesetz schützt die reichen Kriminellen, die monatelang ihre Anwälte bezahlen können, somit ihre Prozesse in die Länge ziehen und ihrem Urteil entgehen." Den "Tick des Totalitären", den Senatspräsident Marcello Pera in der Veranstaltung sieht, wiesen die Organisatoren von sich. "Wir gehören keiner Partei an, wir manifestieren lediglich unsere Meinung. Da das Fernsehen keine unparteiischen Informationen mehr liefert, wollen wir das Volk eben in der Piazza aufklären", so der 58-jährigen Historiker Paolo Flores d'Arcais.
Die "Ringelreihen"-Demonstrationen gegen die Regierung Berlusconi haben Anfang dieses Jahres begonnen. "Wir haben keine rechte Regierung, die regiert, sondern die befiehlt", sagte Moretti bereits im Februar in einer Rede auf einem "Girotondo" in Rom. Die Girotondi heißen wörtlich übersetzt Ringelreihen und sollen die Stimme des Volkes manifestieren.
Der erste große Protest war am 26. Jänner: Über 3.000 Menschen protestierten vor dem Gericht in Mailand gegen die Justizreformen der Regierung. Am 4. Februar umkreisten Demonstranten das Oberste Gericht in Rom. Wieder ging es um die Rechtsreform. Am 10.März protestieren die Bürger für die Pressefreiheit, die sie durch den Medien-Mogul Berlusconi in Gefahr sahen. Am 13. April folgen die Proteste am Ministerium für Erziehung und Bildung, es geht um die Schulreform der Regierung. Am 31. Juli dann die ersten Proteste vor dem Regierungssitz in Rom gegen das Gesetz Cirami.