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Eine Kindergartenpädagogin sucht alternative Formen zum Kindergarten in Wien und gründet ihr eigenes Institut.
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Wien. Als die Kindergartenpädagogin Catrin Fichtinger ihr erstes Jahr in einem Privatkindergarten in Wien absolviert hatte, brachte sie zwölf Kilo mehr auf die Waage. Auf kleinen Sesselchen sei sie gesessen und habe - wie es ja prinzipiell auch sehr schön sei - das gleiche Essen gegessen, wie die Kinder es serviert bekommen: In vielen Fällen Essen auf Rädern aus einer Großküche in Wien, wo eben auch in die Suppe der Zucker kommt.
Den gezuckerten Tee habe sie, wie sie erzählt, noch abwehren können. Sie setzte es durch, dass im gesamten Kindergarten die Getränke nicht zusätzlich gezuckert wurden. Beim Essen scheiterte sie. Es sei ein Kampf gegen Windmühlen gewesen. "Wenn sogar die Pädagoginnen glauben, dass ein Weckerl, auf dem Körner oben drauf sind, schon ein Vollkornweckerl ist, dann ist ohnehin Hopfen und Malz verloren", so Fichtinger zur "Wiener Zeitung". Und so verließ sie den Kindergarten und gründete gemeinsam mit der Pädagogin und Mutter Daria Pitters ihr eigenes Institut namens "Biolino" im 6. Bezirk.
"Aufbewahrungsanstalten"
Noch darf Fichtinger die Kinder nicht ohne deren Eltern betreuen. So bietet sie seit Anfang des Jahres vormittags Spielgruppen für Kinder im Alter von sechs Monaten und drei Jahren an. Ab Herbst würde die Pädagogin jedoch gerne Spielgruppen ohne Eltern organisieren - eine Alternative zur Krippe sozusagen. Vom Magistrat 11 haben die Geschäftsführerinnen erfahren, dass sie keine Kindergruppe werden können. "Wir müssten dann zum Beispiel eine Mindestanzahl an Kindern für eine Mindestanzahl an Stunden pro Woche betreuen. Das wollen wir aber nicht", sagt Fichtinger. Auch seien die Auflagen für eine Kindergruppe streng.
Fichtinger und Pitters warten nun auf die Genehmigung, eine Spielgruppe gründen zu können. "Wir wollen den Eltern die größtmögliche Freiheit geben, wann sie ihre Kinder bringen und abholen. Und wenn mehrere Kinder gleichzeitig betreut werden, haben die Kinder alle Vorteile eines Kindergartens."
Vor allem ein Gedanke hat die 30-Jährige zur Selbständigkeit bewogen. "Was mache ich, wenn ich mal selber Kinder habe." Denn für die Pädagogin sind die Rahmenbedingungen in Wiens öffentlichen und privaten Kindergärten nach wie vor nicht optimal: ungesundes Essen, zu große Gruppen und unflexible Betreuungszeiten. Die Kindergärten seien noch immer oft Aufbewahrungsanstalten. Sorge bereitet ihr auch der Lehrplan für die Ausbildung zur Kindergartenpädagogin. Dieser sehe nach wie vor keine ausreichende Ernährungslehre vor.
Magistrat reduziert Zucker
Sowohl die privaten als auch die öffentlichen Kindergärten werden von denselben wenigen Anbietern in Wien beliefert. Die für die Qualität des Essens für den öffentlichen Bereich zuständigen Magistrate unter Jugendstadtrat Christian Oxonitsch und Gesundheitsstadträtin Sonja Wehsely verweisen auf die laufenden Pilot-Projekte im Rahmen der "Wiener Gesundheitsförderung" (WiG). Bereits im Jahr 2007 wurde mit der Wiener Ernährungsakademie ein Angebot geschaffen, mit welchem sich Pädagogen in Sachen gesunder Ernährung weiterbilden könnten - auf freiwilliger Basis. Dass die Ernährung in der Grundausbildung zu kurz kommt, dessen sei man sich durchaus bewusst, heißt es seitens der WiG.
Demzufolge läuft noch bis Ende des Jahres an rund 500 Wiener Kindergärten - öffentlich und privat - das 2011 gestartete Projekt "Wiener Netzwerk Kindergartenverpflegung" (Winki). Davon wurden 23 Kindergärten genauer unter die Lupe genommen. Speiseplan, Zutaten und Lieferung wurden überprüft. "Wir sehen uns die Anzahl von Obst und Gemüse am Speiseplan der Kinder an", so Projektleiterin Margit Pachschwöll. Etwa habe man bei zwei Lieferanten den Zucker reduziert. "Wenn in einer Speise zwei oder drei Zuckerarten waren, haben wir nur noch eine zugelassen." Das Essen wird großteils von der Gourmet Group geliefert. Der Anteil an biologisch erzeugten Rohstoffen wird mit 50 Prozent angegeben.
Selbst gekochtes 100-prozentiges Bio-Essen, kleine Kindergruppen, Holz-Spielzeug und zwei Kindergartenpädagoginnen für zehn Kinder: Das Biolino wirkt freundlich - helle Holzmöbel, ein großer Holztisch und freie Fläche zum Spielen. Die beiden Frauen hatten Glück, die Räumlichkeiten in der Sandwirtgasse zu finden. Das sei nicht einfach gewesen. Die meisten Vermieter würden bereits bei der telefonischen Anfrage schnell wieder auflegen: "Kindergruppe, nein danke!", habe es geheißen, oder: "Ist das etwas Islamisches?"
"Pop It Up Vienna Tour"
Auch Ferienbetreuung für Kinder zwischen sechs und 12 Jahren wird angeboten. Jede Woche findet ein Workshop statt; etwa "Lotte näht", wo Einkaufstaschen genäht werden. "Die Kinder können dann ihre Eltern daheim davon überzeugen, dass man keine Plastiksackerln kaufen muss." Bei der "Ich und meine Umwelt"-Woche werden Rollons zum Entspannen angefertigt. Man besucht die City Farm in Schönbrunn oder die Biowerkstatt im 1. Bezirk. Die Kosten betragen für eine Woche ganztags 230 Euro. Für die künftige Spielgruppe sollen 8 Euro pro Stunde verrechnet werden.
Erstmalig findet vor Ort am Freitag, 8. 8. 2014, die "Pop It Up Vienna Tour" statt. Künftig sollen einmal im Monat junge Kreative ihre Produkte an ein paar Standorten in Mariahilf ausstellen. Die Stände sind bei "Home made" in der Mollardgasse, im Biolino Institut, im Atelier Olschinsky in der Esterhazygasse und im "Co Space" auf der Gumpendorfer Straße untergebracht. Im Biolino wird das Recycling-Atelier und Schmuckherstellung angeboten. Das Home made gleich ums Eck ist für Fichtinger wichtig: "Wir kaufen dort das Mittagessen für die Kinder. Es ist zu 100 Prozent biologisch, immer vegan und meist glutenfrei."
Würstel zum Frühstück
Seit eineinhalb Jahren ist die Pädagogin nicht nur überzeugte Vegetarierin, sondern auch Veganerin. Sie sei ihr ganzes Leben lang die "größte Fleischesserin" gewesen, erzählt sie. Eine Mahlzeit ohne Fleisch sei keine Mahlzeit gewesen. "Am liebsten Schweinsbraten oder Speck von den Großeltern." Brauchkrämpfe und Hautunreinheiten führten im zunehmenden Alter zur Diagnose Nahrungsmittelunverträglichkeit. Dazu sei ein Buch über die Grausamkeiten von Menschen gegenüber Tieren in der Massenhaltung gekommen: "Es sind Menschen, die so etwas machen." Seitdem rührt sie kein Fleisch mehr an.
In den konventionellen Kindergärten sei für diese Art der Bildung kaum Platz. "In vielen gibt es Würstel und Schinken-Käse-Toast zum Frühstück", so Fichtinger. Auch die Eltern nimmt sie in die Pflicht. "Statt Obst bekommen die Kinder Fruchtzwerge", sagt sie. Und das, obwohl Studien zeigen würden, dass bereits 40 Prozent der Kindergartenkinder adipös sind. "Wenn die angehenden Pädagogen nicht in Kleinkind- und Säuglingsernährung geschult werden, dann ist es kein Wunder, dass sich auch in Sachen Ernährung nichts ändert."