Erfolg eines von der EU geförderten Forschungsprojektes. | Methode auch für chronisch Kranke von großem Vorteil. | St.Ingbert. Seit dem Jahr 1982 ist bekannt, dass das Opiatgegengift Naltrexon Heroin-Süchtigen binnen weniger Stunden einen Turbo-Entzug ermöglicht. Um Rückfällen vorzubeugen wird die Substanz unter ärztlicher Kontrolle in den Folgemonaten weiter verabreicht. "Naltrexon blockiert die Stellen im Nervensystem, an denen sonst Opiate andocken, um ihre Wirkung zu entfalten. Der Effekt: Das Rauschgift wirkt nicht mehr", erklärt der Münchener Toxikologe Max Daunderer. Selbst wenn ein Ex-Junkie wieder zur Spritze greift, wird er nicht mehr high, weil die für die Drogen spezifischen Andockstellen im Gehirn besetzt sind. Das Gefühl der Euphorie bleibt so aus.
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Die Erfolge sprechen für sich. "Während nach einem Methadon gestützten Entzug nach sechs Monaten nur etwa 30 Prozent der Patienten clean bleiben, sind es bei denen mit Naltrexon-Implantaten nach 30 Monaten noch 60 Prozent", berichtet die Berliner Fachärztin für Anästhesiologie, Linda Partecke. Allerdings ist die Abbruchrate unter den Abhängigen hoch. Das liegt zum einen daran, dass die verwendeten Implantate - sie geben den Wirkstoff bis zu einem Jahr ab - nicht immer gut vertragen werden und manchmal mit dem Körpergewebe verwachsen.
Vergessene Einnahme
Zur Zeit wird in Studien die Akzeptanz von Depotspritzen mit einmonatiger Wirkung geprüft. Die meisten Probleme haben Betroffene mit der täglichen Einnahme von Tabletten. Das Vergessen von Tagesrationen ist ein Problem, das die Suchtkranken mit anderen chronisch Kranken teilen.
Wenn es nach den Vorstellungen eines von der EU seit 2004 geförderten und aktuell bis Ende 2007 verlängerten Forschungsprojektes geht, soll die problembehaftete regelmäßige Tabletteneinnahme schon bald der Vergangenheit angehören. Forscher aus Deutschland, Polen, Italien, Spanien, Israel und der Schweiz haben sich das System IntelliDrug ausgedacht. Das ist quasi eine Zahnprothese, die zum elektronisch gesteuerten Wirkstoffdepot umfunktioniert wird, welches es ermöglicht Medikamente so gleichmäßig abzugeben, dass Konzentrationsspitzen, wie sie bei Tabletteneinnahme auftreten, vermieden und damit Nebenwirkungen reduziert werden.
Der "intelligente Zahn" enthält ein Medikament und ein Mikro-System, das den gesamten Prozess steuert. "Über eine Membran gelangt Speichel in das Reservoir und löst einen Teil des festen Medikamentes, welches dann durch einen kleinen Kanal in den Mundraum fließt", erklärt Oliver Scholz, der am Fraunhofer-Institut für Biomedizinische Technik in St. Ingbert gemeinsam mit Thomas Velten die notwendigen Sensoren und die Elektronik entwickelt. Die Sensoren dienen der Überwachung der gelösten Wirkstoffmenge, ihre Daten der Steuerung des Dosierungs-Ventils. Die Sollwerte stellt der behandelnde Arzt mit einer Fernbedienung ein.
"Ein großer Vorteil besteht darin, dass das System permanent im Körper getragen werden kann, dennoch aber jederzeit über den Mundraum zugänglich ist, so dass der Wechsel von Reservoir und Batterien mühelos erfolgen kann", sagt Scholz. Mehrere Varianten einer Zahnprothese haben die IntelliDrug-Forscher bereits erprobt, die für Patienten mit Backen-Zahnlücken geeignet sind. Da aber nicht jeder für das System in Frage kommende Patient eine solche Lücke vorweist, man deshalb auch keinen Zahn ziehen möchte, sind die Forscher einen Schritt weiter gegangen.
Verbessertes System
"Wir haben IntelliDrug inzwischen so verflachen können, dass das Reservoir zwischen Zahnreihe und Wange mit einer Spange befestigt und getragen werden kann", berichtet Velten. In Kürze beginnen nun am Assuta Medical Center in Tel Aviv und an der Berliner Charité die ersten Versuche, die zeigen sollen, dass IntelliDrug den beim Heroin-Entzug verwendeten Wirkstoff Naltrexon gleichmäßig abgibt. Die Vision der Forscher: IntelliDrug soll künftig chronisch Kranken, vor allem Alzheimerpatienten, die Medikamenteneinnahme erleichtern.