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Gegenmacht

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
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In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts galt mindestens als reaktionär, wer im Bereich des entwickelten Westens laut über Grenzen des demokratischen Volkswillens sinnierte. In der ersten Hälfte des 21. Jahrhunderts gewinnt diese Auffassung durchaus an Überzeugungskraft.

Die Zeiten sind eben doch spürbar andere geworden. Tatsächlich ist es mittlerweile nicht mehr völlig ausgeschlossen, wenn auch noch immer nicht sehr wahrscheinlich, dass Donald Trump Präsident des mächtigsten Landes der Welt werden könnte. Und quer durch Europa ist es gewieften Parteistrategen gelungen, allgemeine Wahlen zu gefühlsgesteuerten Bauchentscheidungen der einen oder anderen Art herabzuwürdigen.

Auch solche Wahlen sind selbstverständlich demokratische Willensentscheidungen, die zu respektieren sind. Allerdings gewinnen die institutionellen Gegengewichte zum naturgemäß sprunghaften Volkswillen, die vor noch nicht allzu langer Zeit vor allem als Hürden auf dem Weg zu einer neuen, mutmaßlich besseren Gesellschaft wahrgenommen wurden, neue Wertschätzung. Dabei ist dieses Modell älter als unsere Vorstellung von Demokratie und nennt sich Gewaltenteilung.

Im Kern geht es hier um die Begrenzung von Macht. Einst war ein einzelner Herrscher, eine herrschende Clique der Adressat. Heute kann es auch eine einfache Regierungsmehrheit sein, die sich allzu sehr am eigenen Wahlsieg berauscht und nun glaubt, die vorgefundenen Verhältnisse aus den Angeln heben zu können. Ein Wahlsieg verleiht kein grenzenloses Mandat zum Umbau des Bestehenden. Wer anderes behauptet, redet Unsinn, praktisch ebenso wie in einem grundsätzlicheren Sinn. Notwendig sind dazu entsprechend mit Selbstbewusstsein ausgestattete Institutionen als Gegenmacht. Dazu zählt ein Richterstand, der sich auch in seiner Rolle als Verfassungshüter der Zudringlichkeiten jeder Regierung zu entziehen weiß; eine handlungsfähige Opposition; dazu kann auch ein klug eingerichteter Föderalismus zählen; ganz sicher aber starke Medien und selbstbewusste Bürger.

Für den Skeptiker und Philosophen Rudolf Burger besteht "der Kern unserer Demokratie nicht in Mitbestimmung, sondern in Machtkontrolle". Das wird sich auf absehbare Zeit nicht mehr so schnell ändern. Deshalb sollten wir uns dafür als Gemeinwesen wappnen.