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Gegenwind aus dem Norden

Von WZ-Korrespondent Peter Nonnenmacher

Politik

Nach dem massiven Erfolg bei den britischen Unterhauswahlen fordert die SNP mehr Rechte denn je für Schottland. Auch ein neues Unabhängigkeitsreferendum steht plötzlich im Raum.


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Edinburgh. Mehr Selbstverwaltung denn je wollen die Schotten ihrem Land in den nächsten Monaten sichern. Das hat Regierungschefin Nicola Sturgeon am Freitag dem britischen Premierminister David Cameron bei dessen erstem Nachwahl-Besuch in Edinburgh klargemacht. Sturgeon, die auch Vorsitzende der Schottischen Nationalpartei (SNP) ist, fühlt sich gegenwärtig in einer Position der Stärke gegenüber der Londoner "Zentralregierung". Ihre Partei hat bei den Unterhauswahlen in der Vorwoche nicht nur 50 Prozent aller Stimmen in Schottland auf sich vereinigt und 56 der 59 schottischen Sitze für das Westminster-Parlament errungen. Die SNP zieht mit dieser Fraktion auch als drittstärkste Partei hinter Konservativen und Labour Party in Westminster ein.

Damit, erklärte Sturgeon Cameron in Edinburgh, habe sie von den schottischen Wählern "ein Mandat" zur Aushandlung größerer schottischer Autonomie erhalten. In zwei Etappen will die SNP ihrem Ziel umfassender Selbstbestimmung für Schottland näher kommen. Zunächst soll London seine im Vorjahr gegebenen Versprechen zur Übertragung neuer Rechte an Schottland einlösen. Danach soll es in den nächsten Jahren über diese Versprechen aber auch noch wesentlich hinaus gehen. Sturgeon stellt sich eine völlige finanz- und sozialpolitische Autonomie vor - eine Art "Home Rule", bei der nur noch Außen- und Verteidigungspolitik Sache Londons sind.

Das grundsätzliche Versprechen, den Schotten neue Befugnisse zu übertragen, hatten Konservative, Labour und Liberaldemokraten kurz vor dem schottischen Unabhängigkeits-Referendum im September gemacht - weil sie damals befürchteten, ohne solche Zugeständnisse ein Ja zur Unabhängigkeit zu riskieren und den Zusammenhalt Großbritanniens aufs Spiel zu setzen.

Die seither von allen Parteien erarbeiteten Zugeständnisse sehen vor, dass Schottland mehr Kontrolle über seine Steuern, über einen Teil seiner Sozialausgaben und über sein Wahlrecht erhalten soll. Eine Gesetzesvorlage zur Übertragung dieser neuen Rechte an Schottland soll noch in diesem Monat von Cameron im britischen Parlament eingebracht werden. Seine Regierung, versicherte der Premier in Edinburgh, werde die vereinbarten Pläne "in vollem Umfang und wie versprochen umsetzen".

Weitergehende Forderungen Sturgeons will sich Cameron "ansehen", sobald sie ihm in schriftlicher Form übermittelt werden. Dabei handelt es sich unter anderem um das Recht auf eine eigene Arbeitsgesetzgebung, auf Festsetzung eigener Mindestlöhne und auf die Erhebung eigener Unternehmenssteuern.

Entscheidende Wahl 2016

Im Camerons Regierung sind die Ansichten darüber geteilt, wie weit London solchen zusätzlichen Forderungen entgegen kommen sollte. Der Premier selbst hat aber seit den Wahlen gelobt, alles zu tun, um "die Union zusammenzuhalten". Seine wirkliche Furcht gilt einer möglichen erneuten schottischen Forderung nach einem Unabhängigkeits-Referendum. Im Vorjahr verloren die Unabhängigkeits-Befürworter zwar mit 45 zu 55 Prozent. Und vor den Unterhauswahlen dieses Monats hatte Sturgeon gelobt, sie werde das Wahlergebnis nicht als Mandat für ein erneutes Referendum deuten. Im Mai nächsten Jahres wird aber das schottische Parlament neu gewählt. Und bei dieser Wahl könnte die SNP, wenn sie weiter Auftrieb hat, von den Wählern einen Auftrag für eine zweite Volksabstimmung erbitten. Schon jetzt schließt die schottische Regierungschefin einen solchen zweiten Anlauf zur Unabhängigkeit nicht aus - falls sich "grundlegend" Neues entwickle, wie sie es sagt. Was sie damit genau meint, hat Sturgeon bisher nicht erklären wollen. Mit dem "grundlegend" Neuen könnte eine Ablehnung der frischen Autonomie-Forderungen Schottlands gemeint sein. Oder einfach auch ein erneuter sensationell hoher Wahlsieg für die SNP. Oder auch ein Ja der Engländer zum EU-Austritt, bei einem gleichzeitigen Nein der Schotten. In einem solchen Fall wäre auch ein neues Schottland-Referendum zu erwarten - und diesmal vielleicht wirklich der Zerfall der Union.