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Geheime Wege der Vogelgrippe

Von Roland Knauer

Wissen
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Streifengänse könnten das Virus auf Rastplätzen übertragen.
© corbis

Flugrouten der Zugvögel könnten bei der Ausbreitung eine Rolle spielen.


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Berlin. Während Virologen die Grundprinzipien kennen, nach denen sich das Erbgut von Grippe-Viren verändert und sich Erbeigenschaften mischen, liegen sie noch ziemlich im Dunklen über die Wege, auf denen sich diese Erreger ausbreiten. Wie kommen Vogelgrippeviren auf die Märkte Südostasiens und von dort weiter nach Mitteleuropa?

"Weil wir weder über die Erkrankungen von Wildvögeln noch über ihre Zugrouten genau Bescheid wissen, können wir oft nur Vermutungen äußern", erklärt Martin Wikelski vom Max-Planck-Institut für Ornithologie in Radolfzell und der Universität in Konstanz. Neue Forschungsergebnisse untermauern nun allerdings die Theorien.

Am Anfang der fatalen Entwicklung könnte zum Beispiel ein Bauer in China stehen. Er stibitzt einer Streifengans die Eier aus dem Nest und gibt sie dem Geflügel auf seinem Hof zum Ausbrüten. Nach dem Schlüpfen akzeptieren die Küken die Ersatzeltern ohne Probleme. Da viele Kleinviehzüchter ihre Tiere kaum füttern, suchen sie auf den Feldern und Gewässern der Umgebung Fressbares. Dort treffen sie auf andere Nutztiere, ihre in der Natur lebende Verwandtschaft und andere Vogelarten. Bei den Begegnungen können Grippeviren übertragen werden.

Irgendwann packt der Bauer dann einige seiner Tiere in eine Kiste und fährt sie zum nächsten Markt. Von dort können sich eingeschleppte Erreger weiter verbreiten und große Geflügelfarmen und den internationalen Markt erreichen. Da Kleinbauern in Südostasien sich oft das Haus mit ihren Tieren teilen, erhöht sich auch das Risiko, dass Erreger auf den Menschen überspringen.

"Neben diesem Ausbreitungsweg könnten allerdings auch die Zugvögel eine Rolle spielen", sagt Martin Wikelski. Tatsächlich haben chinesische Forscher bei Wildenten das ursprüngliche Vogelgrippe-Virus H5N1 nachgewiesen, an dem sich in wenigen Fällen auch Menschen infizierten.

In Deutschland untersuchen Forscher wie Franz Conraths vom Friedrich-Löffler-Institut in Wusterhausen zwischen 2005 und 2009 Wildvögel auf Infektionen mit der gefährlichen Virusvariante. "Wir haben den Erreger in 647 tot gefundenen Wildvögeln nachgewiesen", so der Epidemiologe. Die Forscher lockten zudem Wildenten in vier "Sentinel-Anlagen" - große Fallen auf Seen - und untersuchten so mehr als 10.000 lebende Wildvögel. Das H5N1-Virus fanden sie aber nur ein einziges Mal.

Dennoch genügt es nicht, ausschließlich tot gefundene Vögel zu untersuchen. Denn viele Wildvögel infizieren sich zwar mit den ansteckenden Grippeviren, haben selbst aber keine Krankheitssymptome. "Das ist ganz normal", fasst Martin Wikelski zusammen: Erkrankt ein Tier schwer an einer Virusinfektion oder stirbt rasch daran, gehen die Erreger oft selbst ein. Die Evolution bevorzugt daher Viren, die ihren Wirt möglichst wenig und am besten gar nicht krankmachen. Diese angepassten Erreger können sich am besten vermehren.

Das gilt offensichtlich auch für den nun in Asien aufgetauchten Vogelgrippevirus H7N9 (siehe unten). Es starben zwar bereits einige Menschen daran, Erkrankungen bei Wildvögeln aber wurden aber bisher keine nachgewiesen.

Auch schwedische Forscher betreiben eine Sentinel-Anlage, in die sie Wildenten locken. Immer wieder finden sie in den Zugvögeln verschiedene Vogelgrippeviren. Wikelski versieht die Tiere vor dem Freilassen mit kleinen Satellitensendern, die zeigen, wohin die Tiere fliegen und wie sie sich verhalten. "Unterschiede im Verhalten von infizierten und nicht-infizierten Enten sind bisher nicht aufgefallen", betont er. Demnach sollten solche Tiere normal wandern - können daher auf den Rastplätzen oder am Ziel ihrer Reise andere infizieren. Theoretisch könnten die Erreger so ihren Weg von Südostasien bis nach Mitteleuropa finden. Wie groß das Risiko tatsächlich ist, können Tierwanderungsspezialisten jedoch nur schwer einschätzen, weil die Flugrouten vor allem in Eurasien nicht hinreichend bekannt sind.

Als jedoch 2005 jede Menge Streifengänse am 3000 Meter hoch gelegene Quinghai-See im Hochland von China am H5N1-Virus verendeten, deutete sich eine erste Spur an. Der See ist ein Rastplatz für Zugvogelarten, die auch aus den bekannten Virusgrippen-Infektionsgebieten in Südchina und Südostasien kommen. Wikelski und seine Kollegen deckten die Reiserouten der Streifengänse auf, indem sie ihnen Sender anhefteten, die ihre Position melden.

Vom Quinghai-See fliegen die Streifengänse im Frühjahr in ihre Brutgebiete bis in den Süden Sibiriens und der Mongolei. Im Herbst geht es dann zum Überwintern bis nach Bangladesch oder in den Süden Indiens. Dort treffen die Gänse auf Störche, die ebenfalls dort überwintern. Diese wiederum fliegen bis in die Moskauer Gegend. Stockenten am Bodensee fliegen indessen innerhalb von einer Woche bis nach Sankt Petersburg. Eine Verbindung von Mitteleuropa über Moskau nach Südindien und China bis in die Vogelgripperegionen dieser Weltgegend ist also durchaus möglich.

Infektionen bei Störchen

Auch bei Weißstörchen haben die Forscher schon Vogelgrippeinfektionen beobachtet. "Es ist aber auch leicht möglich, dass andere Vögel ähnliche Routen fliegen", so Wikelski. Noch stoßen die Forscher bei der Beobachtung an technische Grenzen. Selbst die leichtesten Satellitensender können nur von größeren Vögeln zumindest vom Kaliber eines Blesshuhns, das rund ein Kilo wiegt, getragen werden. Dabei könnten durchaus Leichtgewichte wie Finken die Erreger tragen und verbreiten. Solche Arten werden sich frühestens ab 2015 über Satellitensender beobachten lassen.

Unterdessen will Wikelski Stockenten mit Sendern versehen, die auch Herzschlag und Körpertemperatur der Tiere übertragen. Die Daten könnten Aufschluss geben, ob eine Grippeinfektion die Tiere nicht doch ein klein wenig krank macht, und ob sie die Viren nach Mitteleuropa tragen.