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Geheimnis der 300.000-Schilling-Umsatzgrenze

Von Alfred Abel

Wirtschaft

Die Regelung ist als Hilfe für Kleinunternehmer gedacht: Umsätze bis 300.000 Schilling im Jahr bleiben von der Umsatzsteuer verschont. Diese Freigrenze darf sich sogar einmal in fünf Jahren um | 15%, also auf 345.000 Schilling erhöhen. Das Problem dabei: Keiner weiß so genau, ob die Freigrenze einen Bruttoumsatz (also einschließlich Umsatzsteuer) meint oder einen Nettobetrag. Der Unterschied | kann in der Praxis beträchtliche Auswirkungen haben. Darum gibt es schon viele gelehrte Aufsätze, die sich damit auseinandersetzen. Jetzt hat der Verwaltungsgerichtshof die richtige Lösung gefunden.


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Bis Ende 1994 gab es eine steuerfreie Klein-Umsatzgrenze von 40.000 Schilling jährlich. Dieses Limit wurde durch das seit 1995 geltende "EU-Umsatzsteuergesetz" auf 300.000 Schilling ausgeweitet.

Damit sollte Kleinunternehmern eine verbesserte Umsatzsteuerbefreiung geboten werden. Eine "unechte" freilich, die auch ein Vorsteuerverbot mit einschließt.

Umsatzsteuer-Befreiung

erfolgt freiwillig

Die USt-Befreiung ist allerdings eine "freiwillige". Wer sie nicht ausnützen will (etwa, weil hohe Vorsteuerbeträge zur Verfügung stehen), kann dem Finanzamt seinen Austritt aus der Begünstigung

erklären. Mit der Folge, daß die Umsätze auch innerhalb der 300.000 Schilling-Grenze umsatzsteuerpflichtig werden (wofür der Unternehmer seinen Kunden die USt ja in Rechnung stellen kann). In diesem

Fall gewinnt der Kleinunternehmer eben auch das Vorsteuerrecht.

300.000-Schilling-Grenze

läßt Fragen offen

Soweit, so einfach. Innerhalb der 300.000 Schilling-Freigrenze sind die Begriffe "Umsatz" und "Einnahmen" identisch. Das Problem beginnt, sobald der Unternehmer mit seinen Jahreseinnahmen über

diese Grenze hinausreicht, was nicht immer vorauszusehen oder zu steuern ist. Dann entsteht die Steuerpflicht ab dem ersten eingenommenen Schilling; und dann erhebt sich auch die Frage nach der Art

der Freigrenze.

Ist sie auf die vereinbarten oder vereinnahmten Bruttoeinnahmen (also einschließlich einer fiktiven Umsatzsteuer) zu beziehen oder auf die Betriebseinnahmen nach Ausgliederung einer (gedachten) USt?

Tatsächlich dürfte ja bei umsatzsteuerfreien Einnahmen eine Steuer gar nicht "mitgedacht" werden, weshalb die Freigrenze also zwangsläufig eine Nettogrenze sein müßte?

Fiktive Umsatzsteuer

trotz Steuerbefreiung?

Die Finanzverwaltung bezeichnet den Grenzbetrag dessen ungeachtet als Bruttomaßstab, als Einnahmentopf mit mitgedachter USt; als Bruttogrenze. Diese Rechtsauffassung wird von ihren maßgeblichen

Experten und in den von diesen verfaßten Schriften vertreten. Deshalb überrascht es nicht, daß in einem Streitfall, in dem die Berufungsinstanz zunächst auch dem Nettogedanken zugetan war, der

Präsident der Finanzlandesdirektion gleich massiv Beschwerde erhob.

Eine Tiroler Kleinunternehmerin hatte für ihren Jahresumsatz von rund 365.000 Schilling die Umsatzsteuerbefreiung angenommen. Nach Ausgliederung der (gedachten) 20%-igen Umsatzsteuer hatte sie einen

Nettoumsatz von rund 304.000 Schilling ermittelt und wäre demnach - unter Ausnutzung der ihr einmal in fünf Jahren zustehenden Toleranzgrenze von 345.000 Schilling - eben USt-frei gewesen. Das hatte

ihr zwar die Oberbehörde zugebilligt, nicht aber der Chef der Finanzdirektion.

Es bestehen wider-

sprüchliche Auffassungen

Der zur Lösung der Streitfrage angerufene Verwaltungsgerichtshof ging mit ausführlichen rechtstheoretischen Überlegungen an das Problem heran und stellte die Auswirkungen der einen und der anderen

Rechtsauffassung gegenüber. Mit einer zunächst etwas ratlosen Schlußfolgerung: "Dabei kann nach dem Wortlaut des Gesetzes keiner der beiden Lösungen der Vorzug gegeben werden".

Kein Wunder: Die gesetzliche Formulierung der an sich gutgemeinten Kleinunternehmerhilfe ist nämlich unglücklich ausgefallen. Unter dem Begriff des Umsatzes wird im gesamten Umsatzsteuerrecht die

Summe der Entgelte exklusive Umsatzsteuer verstanden. Da der Steuerbefreiungs-Paragraph für Kleinunternehmer (§ 6 Abs. 1 Z 27 des Umsatzsteuergesetzes) aber ausdrücklich die Umsätze dieser Gruppe

anspricht, wäre allein schon aus dieser Analogie-Überlegung von Nettobeträgen (ohne USt) auszugehen.

Analogie kein

Umsatzsteuerbegriff

Das meint auch das Höchstgericht, wenn es sinngemäß ausführt: "Hätte der Gesetzgeber mit der Kleinunternehmer-Vorschrift die gesamten Einnahmen ansprechen wollen, wäre es naheliegend gewesen, daß

er sich eines anderen Begriffes als jenes der Umsätze bedient und damit eine bereits dem Wortlaut nach eindeutige Bestimmung geschaffen hätte". Im Klartext: Eine klarere legistische Formulierung

hätte einen Streitfall vor dem Höchstgericht erspart.

Die Schlußfolgerung der Höchstrichter führt demnach dazu, daß die Kleinunternehmerregelung zwar auf eine fiktiv angenommene Steuerpflicht abstellt, daß aber die 300.000 Schilling-Grenze jedenfalls

als Nettogrenze anzusehen ist. Das ist kein Widerspruch, denn um dieses Limit im Falle des Überschreitens richtig zu beurteilen, ist eben - gemäß dem im Gesetz sonst immer verwendeten Umsatzbegriff -

die fiktive USt vorher aus den Einnahmen herauszurechnen.

Steuerbefreiung also

bis zu 360.000 Schilling

Diese Auslegung läßt sich auch durch Vergleich mit der früheren 40.000 Schilling-Freigrenze unterstützen. Auch die Formulierung der damaligen Bagatellgrenze spricht für das nunmehrige

Auslegungsergebnis, "weil die 40.000 Schilling der Stammfassung des UStG unzweifelhaft als Nettobetrag anzusehen sind", sagt der VwGH.

Die Tiroler Unternehmerin hätte also im Normalfall Jahreseinnahmen (einschließlich 20% USt) bis zu 360.000 Schilling, im einmaligen Toleranzfall sogar bis zu 414.000 Schilling erzielen können, ohne

aus der (unechten) Umsatzsteuerbefreiung auszubrechen. (Einnahmen aus Hilfsgeschäften oder aus einer Geschäftsveräußerung könnten dabei gemäß der gesetzlichen Bestimmung überhaupt außer Ansatz

bleiben).