Wiener mit Migrationshintergrund lernen, wie Ideen zu Filmen werden.
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Wien. Zijo ist Moslem und Milan ein Serbe. Von Kindheit an sind beide beste Freunde. Als sie im Jugoslawienkrieg in zwei verfeindete Armeen einrücken, führt auch das nicht zum Bruch. Eine neue Wendung erhält ihre Freundschaft erst, als sie sich nach dem Krieg wiedertreffen. Zijo ist arbeitslos, Milan ist der Besitzer eines Bordells, in dem auch Menschenhandel mit Flüchtlingen betrieben wird. Zijo und eine der Frauen verlieben sich ineinander, doch dann verschwindet seine Geliebte auf mysteriöse Weise, die Spur führt nach Wien, zur Mafia, deren Chef Milan ist, wie sich nun herausstellt. Schließlich wird Zijos Freundin ermordet. . .
Solche und andere Filmdrehbücher entstehen zurzeit bei "Diverse Geschichten", einem Workshop für talentierte Drehbuchautoren mit Migrationshintergrund. Das Projekt findet bereits zum dritten Mal statt und wurde von der Wiener Filmproduktions- und Drehbuchentwicklungsfirma Witcraft gegründet. Heuer wurden 30 Exposés von Wienern mit Migrationshintergrund eingereicht. Acht wurden ausgewählt, die nun gemeinsam mit Beratern fertig geschrieben und am Ende vielleicht auch verfilmt werden. "Migranten haben eine andere Perspektive", ist der Projektleiter Robert Buchschwenter überzeugt. "Jemand hat eine Idee, die uns signalisiert, dass er ein Drehbuch schreiben kann. Es kann auch fehlerhaft sein. Wichtig ist vor allem die filmische Erzählweise."
Autor jener Geschichte über die ermordete Prostituierte ist Ahmed Zmiric. "Ich habe alles das gesehen", erzählt er, angesprochen auf sein Drehbuch. "Nach dem Krieg gab es illegale Migranten. Die Schlepper haben das ausgenützt und davon profitiert. Menschen wurden verkauft - wie Fleisch."
Zmiric hat nach dem Krieg in einer Disco in Bosnien gearbeitet, gleich neben einem Bordell. "Ich habe die tragische Geschichte von so vielen Menschen kennengelernt." Eine Schlepperroute führte von der Ukraine über Serbien nach Bosnien und endeten schließlich in Italien. "Die Prostituierten versuchten am Ende alle fortzukommen. Manchen gelang es zu heiraten, andere verschwanden einfach. In Italien machte die Mafia die Frauen mit Drogen abhängig. Die albanische Mafia war auch sehr aktiv."
Zmiric Ahmed, Jahrgang 1967, hat seine Kindheit teils in Wien, teils in Bosnien verbracht, hat eine Militärausbildung gemacht und ist in Wien seit 2004 in der Gastronomie tätig. Bücher hat er immer schon verschlungen, doch am Schreiben hat ihn seine Lebensgeschichte bisher gehindert. Nun ist es soweit: "Ich hatte diese Geschichte immer im Kopf."
Unter den Teilnehmern von "Diverse Geschichten" ist auch die gebürtige Belgierin Nathalie Borgers, die bereits viel in der Welt herumgekommen ist, schon in Frankreich und den USA lebte. Sie kann eine erfolgreiche Karriere als Dokumentarfilmerin vorweisen. Den Österreichern ist vor allem ihr Film "Kronenzeitung, Tag für Tag ein Boulevardstück" ein Begriff. Das erfolgreiche Abschneiden der FPÖ bei den Nationalratswahlen 1999 und die wenig später erfolgte Angelobung der schwarz-blauen Koalition waren damals der Aufhänger, in einer Doku für das belgische Fernsehen die Rolle des österreichischen Kleinformats näher zu untersuchen. Im Wiener Votiv-Kino sorgte der Film monatelang für einen vollen Saal.
Kritik am Kleinbürgertum
"Hans Dichand war eine Art Vaterfigur für Österreich", meint Nathalie Borgers. "Dieses Kleinbürgerliche der ,Kronen Zeitung stört mich." Das zeige sich auch darin, dass man Dinge nicht direkt anspricht. Österreich habe eine schmerzhafte Vergangenheit. "Man spürt das noch, es bleibt in der Luft hängen. Du bist grundsätzlich unsicher, weil du dich nicht kennst, nicht weißt, was dein Großvater gemacht hat." Gleiches gelte aber auch für ihr Herkunftsland Belgien, wo man kaum über die Kolonialzeit offen reden könne. Auf die Spuren der Kolonialzeit begibt sich Borgers in ihrem neuen Dokumentarfilm "Liebesgrüße aus den Kolonien", der am 4. März seine österreichische Premiere im Rahmen des Festivals FrauenFilmTage feiern wird. Er handelt von der Tochter eines belgischen Kolonialbeamten und einer ruandischen Frau, die im Alter von vier Jahren nach Europa gebracht wurde und erst später ihre wahre Familie kennenlernt.
Diese Geschichte inspirierte Borgers auch zur Filmidee von "Blanche und Rose", die sie bei "Diverse Geschichten" zu einem Drehbuch verarbeitet. Eine 17-jährige Frau, deren Mutter ein Kind von einer Schwarzen und einem Weißen ist, begibt sich darin auf die Suche nach ihren bisher nicht gekannten Vorfahren.
Noch ein anderes Drehbuch widmet sich der Reise in die eigene Vergangenheit. "Die Kinder von Stahlheim" heißt der Film von Aylin Derinsu. Eine 70-jährige Norwegerin erfährt beim Tod ihrer Ziehmutter wer sie wirklich ist: die Tochter eines österreichischen Wehrmachtsoffiziers und einer Norwegerin. "In uns allen schlummert noch viel Krieg", meint Aylin Derinsu, die Tochter eines türkischen Vaters und einer österreichischen Mutter ist. "Ich habe zufällig die Wehrmachtskinder in Norwegen kennengelernt, die sehr schlecht behandelt worden sind. So bin ich auf die Idee gekommen." Während eines Jahres werden die Autoren bei ihrem Drehbuchprojekt persönlich begleitet. Mehrere gemeinsame Wochenenden sind geplant. Am Ende werden die Geschichten der Filmbranche in einer großen Vorstellung präsentiert.