Ein Allheilmittel gegen die Krise kann kein einzelnes Land liefern - und schon gar nicht die Kommission.
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Brüssel. Es wäre bösartig, von Flucht zu sprechen. Dennoch hatte es etwas Hastiges, als Jose Manuel Barroso und Olli Rehn das Podium verließen. Der Präsident der EU-Kommission und sein Stellvertreter, der für Wirtschaft und Währung zuständig ist, ließen nach ihrem Auftritt vor Journalisten etliche Fragen unbeantwortet. Barroso hätte sowieso lieber ausführlicher vom Europatag gesprochen, der am heutigen Mittwoch begangen wird. Vom französischen Außenminister Robert Schuman, der vor 62 Jahren den Plan zur Schaffung einer europäischen Föderation erklärte. Und davon, wie viel in diesem Europa mittlerweile erreicht wurde.
Doch ist die Union in der Zwischenzeit auch in eine tiefe Krise gestürzt. Diese ist noch nicht vorbei - das musste sogar der Kommissionspräsident einräumen, der sonst positive Schlagwörter bevorzugt. Allerdings ortete Barroso in der aktuellen Entwicklung auch etwas Erfreuliches: einen starken Impuls für mehr Wirtschaftswachstum. Dem müssten sich die Mitgliedstaaten neben ihren Sparprogrammen widmen. Schuldenabbau und Ankurbeln der Konjunktur - das habe gleichzeitig zu geschehen. Rehn sekundierte: "Die Debatte Konsolidierung gegen Wachstum ist eine falsche Diskussion."
Denn die rigiden Vorgaben, um wachsende Verschuldung und steigende Budgetdefizite in den Griff zu bekommen, reichen für eine Stabilisierung der Wirtschaft nicht aus. Der Ruf nach Maßnahmen, die auf der anderen Seite Wachstum und Beschäftigung fördern sollen, wurde immer lauter. Die Notwendigkeit dessen haben die Staats- und Regierungschefs der EU selbst schon bei ihrem letzten Gipfeltreffen Anfang März unterstrichen. Und auch bei ihrer nächsten Zusammenkunft in Brüssel Ende Juni wollen sie dieses Thema auf die Agenda setzen. Vorbereiten werden sie das bei einem Sondertreffen, einem als informell bezeichneten Abendessen, das Ratspräsident Herman Van Rompuy für den 23. Mai angesetzt hat.
Brüssel besteht auf Fortsetzung der Sparpolitik
Spätestens bei dieser Gelegenheit wird der angehende französische Präsident François Hollande alle weiteren 26 Staatenlenker kennenlernen. Es ist unter anderem sein Wahlsieg, der der Wachstumsdebatte neuen Nährstoff gibt. Und auch in Griechenland schlugen sich die Ablehnung der strikten Haushaltsregeln sowie der Wunsch nach alternativen Rezepten gegen die Krise an den Urnen nieder: Bei der Parlamentswahl am Sonntag verloren die Parteien, die mit EU-Vertretern den harten Sparkurs vereinbart hatten, massiv an Stimmen.
Allerhöchstens diese, eine innenpolitische Deutung wollte Barroso gelten lassen. Eine Interpretation des Wahlergebnisses in einer europäischen Dimension - als eine Abfuhr für EU-Vorgaben - lehnte er hingegen weitgehend ab. So präsentierte der Kommissionspräsident auch keine neuen Pläne seiner Behörde zur Stützung des Wachstums. Stattdessen erinnerte er an bereits bestehende Vorschläge.
Zur Debatte steht etwa, das Kapital der Europäischen Investitionsbank um zehn Milliarden Euro aufzustocken, damit Unternehmen vermehrt an günstige Kredite kommen könnten. Ebenso gibt es Überlegungen zu sogenannten Projektanleihen, mit denen privaten Firmen Investitionen in den Bereichen Energie, Verkehr oder Telekommunikation schmackhaft gemacht werden sollen. Mit EU-Mitteln in Höhe von 230 Millionen Euro könnten auf diese Art Infrastrukturvorhaben für bis zu 4,6 Milliarden Euro finanziert werden, meinte Barroso.
All dies dürfe aber keineswegs ein Abgehen vom Sparkurs bedeuten, betonte Währungskommissar Rehn. Festhalten an ihren Reformen müssten gerade jene Staaten, die von Hilfskrediten abhängig seien, wie Griechenland, Portugal und Irland - aber ebenfalls angeschlagene Länder wie Spanien. Alternativen dazu sieht Rehn keine.
Den Eindruck, dass den EU-Institutionen die Lösungen ausgehen, findet Janis A. Emmanouilidis vom in Brüssel ansässigen Think-tank European Policy Centre richtig. "Das hat aber damit zu tun, dass die Krise schon seit einiger Zeit andauert und uns noch länger begleiten wird", sagt der EU-Experte im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Allerdings bedeute das nicht die Unmöglichkeit, "neue Lösungen hervorzuzaubern".
EU-Experte: Lösungen auf nationaler Ebene zu suchen
Die Zuständigkeit dafür liege jedoch in erster Linie bei den Ländern selbst: Vorschläge für mehr Wachstum etwa müssten auf nationaler Ebene gesucht und implementiert werden. Und solange die Staaten ihre Hausaufgaben nicht machten, blieben die Probleme bestehen. "Das lässt sich auf europäischer Ebene nicht kompensieren", stellt Emmanouilidis fest. Das gelte sowohl für die Möglichkeiten der EU-Kommission als auch der Europäischen Zentralbank.
Dennoch könnte auch die Brüsseler Behörde eine gewichtige Rolle spielen, findet der Analyst. Sie kann beispielsweise einen Koordinationsmechanismus entwickeln, der den Druck auf die Mitgliedstaaten erhöhen würde. Als Beispiele für solch eine Zusammenarbeit nennt Emmanouilidis die Einigung auf die Finanzhilfen für Griechenland oder auf verschärfte Regeln für den Stabilitäts- und Wachstumspakt. Eines könne aber weder die EU-Kommission noch ein Mitgliedsland: ein Allheilrezept liefern.