Amerikanischer Bibelwissenschafter auf Dan-Brown-Kurs. | Salzburg. Die Geschichte Jesu von Nazareth erregt nach wie vor, insbesondere dann, wenn es um den Kern der neutestamentlichen Botschaft und des christlichen Glaubens geht: seine Gottessohnschaft. Publikationen, welche die theologischen Aussagen um Geburt, Abstammung oder Auferstehung Christi hinterfragen, irritieren und fordern heraus. Ob es sich dabei um einen Kriminalroman, eine populärwissenschaftliche Studie oder wissenschaftliche Arbeit handelt, erscheint als Nebensache. Im amerikanischen Raum sorgen solche Bücher für intensive Mediendebatten und hohe Auflagen.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 18 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Der Bestseller von James D. Tabor "Die Jesus-Dynastie" ist gut in diese Tradition "aufdeckender" Jesus-Bücher eingebettet. Tabor sieht Jesus als Nachkomme einer verfolgten Königsfamilie, der aus machtpolitischem Kalkül gekreuzigt wurde, stellt die Jungfrauengeburt (erneut) in Frage, sucht nach dem biologischen Vater Jesu und spürt dem Einfluss der Familie Jesu im frühen Christentum nach.
Tabor teilt sein Anliegen, mit der jüngeren US-amerikanischen Forschung, die vor allem am sozialhistorischen Umfeld der Zeit Jesu interessiert ist. Dies tut Tabor auf Basis schriftlicher Quellen und archäologischer Funde höchst eloquent und kreativ. Das Erfreuliche an dem Buch ist das Ernst-Nehmen des Juden Jesus und seiner irdischen Geschichte, in der er sich der Randexistenzen und Ausgestoßenen der menschlichen Gesellschaft angenommen hat. Die Stärke Tabors liegt zweifellos im Auswerten des archäologischen Befundes.
Der Umgang mit den relevanten antiken Texten lässt jedoch oft zu wünschen übrig. Tabor verlässt in einem grundlegenden Punkt den Boden wissenschaftlicher Textanalyse, wenn er die jeweilige literarische Form außer Acht lässt und einen theologischen Text und dessen Symbolsprache als historischen Text erfasst.
Wenn es Tabor um einen Beitrag zu einem authentischen Jesusbild geht, so müsste er sich bewusst sein, dass dies mit historischen Methoden nur eingeschränkt möglich ist. Die Auferstehung lässt sich historisch nicht nachweisen, der Glaube an die Auferstehung durch den engsten Freundeskreis Jesu, ist jedoch historisches Faktum, wie auch, dass erst vor diesem Hintergrund der Glaubensüberzeugung die ältesten schriftlichen Zeugnisse des Christentums entstehen. Wird dies bei der Textauswertung nicht berücksichtigt, dann geschieht ein fundamentaler methodischer Fehler.
Das Buch ist dort am schwächsten, wo Wahrscheinlichkeit mit wissenschaftlichem Nachweis vermengt wird. Was nicht ins Konzept passt, wird allzu rasch als nicht authentisch ausgeschieden oder als verfälscht überliefert betrachtet. Mit dem wissenschaftlichen Potential, das Tabor mitbringt, hätte der Leser mehr erwarten können als eine Mischung aus kreativer Spekulation und historischem Faktenwissen. Die historischen Fakten sind nicht neu, die Spekulationen bleiben unbelegbar.
Dietmar W. Winkler, Leiter des Fachbereichs Bibelwissenschaft und Kirchengeschichte an der Universität Salzburg, war 2003-05 Professor am Department of Religion der Boston University (USA).
James D. Tabor
Die Jesus Dynastie.
Das verborgene Leben von Jesus und seiner Familie und der Ursprung des Christentums.
C. Bertelsmann Verlag
448 Seiten, 20,60 Euro
Gewagte Spekulationen.