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Geht Bilanz-Schnellschuss nun gar nach hinten los?

Von Stefan Melichar

Wirtschaft
Wenn sich der Wind an den Märkten dreht, kann es zu massiven Bewertungsverlusten kommen. Foto: bilderbox

Umsetzung auf freiwilliger Basis schon heuer möglich. | Heimische Banken warten noch ab. | Wien. Die Freude ist alles andere als ungeteilt. Vor kurzem hat das International Accounting Standards Board (IASB) - der europäische Ausschuss für Bilanzierungsregeln - Änderungen bei der Rechnungslegung von Banken und Versicherungen vorgeschlagen. Seit Freitag feilt nun das Österreichische Rechnungslegungskomitee Afrac an einer Stellungnahme.


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Derzeit müssen Banken einen Gutteil ihrer Wertpapiere und sonstigen Vermögenswerte zu wechselnden Marktpreisen in ihre Bilanzen aufnehmen. Im Zuge der Finanzkrise hat dies zu massiven Abschreibungen geführt, wobei derartige Verluste wiederum die Krise weiter ankurbelten. Diese sich selbst verstärkende Wirkung - die Prozyklizität, die in guten Zeiten den Finanzinstituten durchaus auch massive Gewinne beschert hat - ist rasch als Mitschuldiger an den Turbulenzen ausgemacht worden.

Kritik an Zeitplan

Die Änderungsvorschläge des IASB hält Friedrich Jergitsch von der Anwaltskanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer durchaus für geeignet, die Prozyklizität zu reduzieren: In Zukunft werde ein "bedeutender" Teil von Finanzinstrumenten nicht nach Marktwert, sondern nach dem Anschaffungswert erfasst sein.

Grundsätzlich soll es dann nur noch zwei statt vier Bewertungskategorien geben (siehe Wissen). Kreditähnliche Finanzinstrumente werden nach den Anschaffungskosten bilanziert, der Rest nach Marktwert.

Für Roland Nessmann vom Wirtschaftsprüfungsunternehmen KPMG steckt der Teufel aber im Detail: So könnten einige - für österreichische Banken wichtige - Finanzierungsinstrumente nun auf einmal zum Marktwert bilanziert werden müssen.

Ein Problem gebe es zum Beispiel auch bei Beteiligungen an nicht-börsenotierten Unternehmen. Diese seien in Zukunft nach dem Marktpreis zu bewerten, der jedoch oft nur sehr schwer - und nicht objektiv vergleichbar - feststellbar sei. "Unter dem Deckmantel der Vereinfachung der Rechnungslegung wird die Bewertung zu Marktwerten - ohne deren Probleme zu beseitigen - verstärkt", so Nessmann.

Kritik übt der Experte auch an der Umsetzungsstrategie: Neben den Bewertungsregeln, die auf freiwilliger Basis bereits für den Jahresabschluss 2009 anwendbar sein sollen, arbeitet das IASB an mehreren Vorschlägen zu verwandten Problemfeldern. Nessmann warnt vor nicht einschätzbaren Wechselwirkungen dieser Entwürfe. Wegen der "Raschheit" - auch politisch motivierter - Änderungen werde der Überblick sehr erschwert.

"Nicht abschätzbar"

Österreichs Großbanken wollen abwarten: Die Auswirkungen seien momentan nicht abschätzbar, heißt es seitens der Raiffeisen Zentralbank. "Wir schauen uns das jetzt einmal an", so ein Erste-Group-Sprecher. Für heuer werde man die Regeln aber sicherlich nicht übernehmen. Keinerlei Entscheidung ist bei Bank Austria und Bawag gefallen.

Für die Banken steht einiges auf dem Spiel: Musste man im vergangenen Jahr wegen Marktbewertungen Verluste hinnehmen, kehrt sich dies dank der besseren Stimmung an den Märkten gerade ins Gegenteil um. Hier will man sich natürlich nicht durch eine vorschnelle Reduktion des Bewertungseffekts die Gewinnaussichten torpedieren.

Wissen

(mel) Banken besitzen und handeln verschiedenste

Finanzinstrumente. Darunter fallen unter anderem Kredite, Anleihen, Aktien oder sogenannte Derivate. All diese Finanzinstrumente stellen Vermögenswerte dar, die in Form von Geldbeträgen in die Bilanz aufgenommen werden müssen.

Dabei gibt es unterschiedliche Möglichkeiten, den Wert zu ermitteln: Zum Beispiel kann überlegt werden, was die Bank verdienen würde, wenn sie das jeweilige Finanzinstrument weiterverkauft. Daraus lässt sich der sogenannte Marktwert ableiten. Umgekehrt ist es möglich, die Aufwendungen des Instituts beim Kauf eines Instruments heranzuziehen. Daraus ergibt sich dann der Anschaffungswert, der nicht laufend mit Marktveränderungen schwankt, sondern in der Bilanz nur verändert wird, wenn Anzeichen für einen realen Wertverlust bestehen - etwa, wenn ein Kreditnehmer zahlungsunfähig wird.

Derzeit gibt es vier Kategorien von Finanzinstrumenten mit unterschiedlichen Bewertungsvorschriften und verschiedenen Regeln beim Umgang mit Wertberichtigungen.