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Ein Auswanderer-Gespräch über Heimatliebe, Europa und Politikversager.
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"Wiener Zeitung":Sie beide haben Ihre Heimat verlassen, um in Österreich den Lebensunterhalt zu verdienen. Ist dies das Schicksal der jungen Griechen?Christina Karagiannis:Ja, leider. Die Arbeitslosigkeit trifft die 20- bis 40-Jährigen besonders hart, deshalb verlassen immer mehr Griechenland und ziehen nicht nur in andere europäische Länder, sondern bewerben sich täglich zu Tausenden für die Emigration nach Australien, in die USA, egal wohin. Die Entfernung spielt längst keine Rolle mehr. Früher war es so, dass griechische Familien ihre Kinder immer dazu anhielten, nicht wegzuziehen, sondern daheimzubleiben. Heute sagen die Eltern zu ihren Kindern: Geht, geht, verlasst dieses Land. Das ist ein unglaublicher Bruch. Meine Schwester versucht gerade, nach Australien auszuwandern. Und man spürt im Ausland, dass die Vorbehalte gegenüber Griechen wachsen.
Christos Sorvatziotis: Ja, viele Menschen machen uns für die Krise in ganz Europa verantwortlich, aber die einfachen Menschen in Griechenland tragen dafür keine Verantwortung. Sicher, wir alle haben einen Beitrag geleistet, etwa, wenn es darum ging, Dinge ohne Rechnung - und damit ohne Mehrwertsteuer - zu kaufen . . .
Christina: Ja, wir haben alle ein klein wenig mitgemacht . . .
Christos: Aber das ist nichts im Vergleich zu den großen Betrügereien der alten Parteien.
Was bedeutet es für die Zukunft Griechenlands, dass nun ausgerechnet die gut ausgebildeten Jungen das Land verlassen - oder werden alle zurückkehren, wenn erst einmal das Schlimmste vorbei ist?Christos: Niemand wird schnell zurückkehren. Ich glaube nicht, dass irgendwer in Griechenland einen Plan hat, wie die Probleme zu lösen sind. Wer erfolgreich sein, für sich und seine Familie sorgen will, dem bleibt gar nichts anderes übrig, als das Land zu verlassen. Griechenland ist ein wunderbares Land, mit Menschen, deren Gastfreundschaft unglaublich ist, aber wir haben so ziemlich die dümmsten Politiker. Für meine Kinder wäre es wunderbar, wenn sie in Wien aufwachsen würden, aber ich würde dafür sorgen, dass sie ihre griechischen Wurzeln nicht vergessen.
Christina: Für den Moment möchte ich in Österreich bleiben, es gefällt mir ausgezeichnet, die Menschen sind nett und ich habe einen Job. Aber wenn ich einmal Familie habe, so möchte ich meine Kinder in Griechenland aufwachsen sehen. Dort ist meine Heimat und ich bin stolz auf sie. Nur leider fürchte ich, dass sich die Lage nicht so schnell bessern wird - und es wird hart für die Menschen werden. Wir wissen nicht einmal, was nach diesem Sonntag passieren wird, niemand hat einen Plan. Ich würde mir wünschen, dass alle Politiker den Hut nehmen und Experten die Sache in die Hand nehmen.
Wie hat sich Ihr Bild von Europa durch die Krise verändert? Einerseits ist es die EU-Kommission, die Griechenland zu harten Sparmaßnahmen zwingt, andererseits sorgen die gleichen Institutionen dafür, dass man frei durch Europa reisen und Arbeit suchen kann.Christos: Europa hat große Defizite, die wirtschaftlichen Probleme ziehen sich durch alle Mitgliedstaaten, aber in der Krise schauen alle nur auf den Süden.
Christina: Es ist natürlich wunderbar, frei zu reisen, aber manche Länder wurden mit der Aufhebung der Grenzen auch überfordert - mental genauso wie wirtschaftlich.
Christos: Ja, und das trifft vor allem auf die Einführung des Euros zu. Damals wäre es notwendig gewesen, unser ganzes Denken im Umgang mit Geld zu verändern, aber das ist nicht geschehen, stattdessen wurden einfach nur die Preise astronomisch erhöht. In Athen zu leben ist um ein Vielfaches teurer als in Wien. Wir waren für diese Währung nicht bereit.
Christina: Unsere ganze Gesellschaft müsste von Grund auf erneuert, geerdet werden.
Fühlen sich die Griechen heute als Europäer zweiter Klasse?Christos: Wir Griechen wären gerne gute Europäer, aber vielleicht ist tatsächlich besser, wenn wir zur Drachme zurückkehren und die Zeit einfach um vierzig Jahre zurückdrehen könnten.
Christina: Alle sind einfach traurig und deprimiert und fast schon apathisch: Raus aus dem Euro, aus der EU - das ist vielen längst egal.
Christos: Vielleicht ist ja Alexis Tsipras der Mann, der die Dinge verändern, nur mit Experten regieren kann. Fakt ist, wir wären eigentlich ein reiches Land, wir haben Öl und Gas . . .
Christina: Richtig, das ist ja auch der Grund, warum man uns nicht aus der EU werfen will.
Tsipras als Hoffnungsträger?Christos: Ja, und das sage ich, obwohl meine Familie nie links gewählt hat.
Christina: Sicher, wir wissen praktisch nichts über diesen Typen, aber das Wichtigste ist, dass er nicht zu der alten Garde gehört. Dieser kann man nicht mehr trauen, das hat die Geschichte gelehrt.
Zu den Personen
Christina Karagiannis, 33
ist freischaffende Fotografin; geboren auf der Insel Santorin lebte sie zunächst in der Hauptstadt Athen; sie entschloss sich bereits Ende 2009, nach Wien
zu ziehen.
Christos Sorvatziotis, 38,
ist Computertechniker; geboren nahe Olympia auf der Peleponnes; Anfang 2012 kam er - ohne Familie - nach Wien; Frau und Kinder werden nachkommen, sobald er Arbeit gefunden hat.