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Die EU will den Niedergang der Industrie stoppen - mit zweifelhaften Erfolgsaussichten. Denn der Fehler steckt im System.
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Ach, waren das noch Zeiten, als man unbefangen hoffen konnte, der technische Fortschritt werde die Menschen von stumpfsinnigen Tätigkeiten befreien! Noch in den 80er Jahren sah man sich auf dem Weg in die Freizeitgesellschaft und die Gewerkschaften versprachen den Kampf um weitere Arbeitszeitverkürzungen, um die durch die "Revolution in der Mikroelektronik" weniger gewordene Arbeit auf mehr Menschen aufzuteilen.
Mittlerweile ist die Computerisierung bis in die kleinsten Winkel des Privatlebens eingedrungen, aber die Träume von einst sind ins Nichts zerstoben. Wir sollen länger statt weniger arbeiten, gleichzeitig steigt der Stress für den Einzelnen, was sich wiederum in einer wachsenden Zahl von Erschöpfungskrankheiten niederschlägt. Die Rationalisierung hat also nicht das Leben der Menschen erleichtert, sondern diente nur der Steigerung der Produktion. Und um die Nachfrage nach neuen Produkten aufrechtzuerhalten, sollen die alten möglichst schnell kaputt gehen - "geplante Obsoleszenz" ist ein geläufig gewordenes Schlagwort dafür. Das treibt die Wirtschaft an, aber auch den Verbrauch von Energie, Rohstoffen und Umwelt. Deutlich wird dies in China und anderen Ländern, wohin große Teile der Produktion verlagert wurden, weil diese Ressourcen dort billiger zu haben sind. Dort leiden die Menschen jetzt an ärgeren Umweltschäden, als es sie einst im Ruhrgebiet gab.
Diese Auslagerung hat aber in Europa nicht nur die Luft- und Wasserbelastung reduziert, sondern auch die Zahl der Arbeitsplätze. Millionen davon sind in den vergangenen Jahren verloren gegangen, weil der Anteil der Industrie am Bruttoinlandsprodukt auf nur noch 15 Prozent gesunken ist. Die EU-Kommission will bis 2020 den Anteil wieder auf 20 Prozent hochschrauben. Dieses Ziel liegt allerdings, gibt der zuständige Kommissar zu, noch in weiter Ferne, und tatsächlich beinhalten die EU-Vorschläge nur wenig Konkretes. Nur bei einem Thema bahnt sich ein Konsens zwischen Kommission und den Forderungen der Industrielobby an: Die Energiepreise sollen sinken. Das Match Wirtschaft gegen Umwelt geht dabei wieder einmal zuungunsten der Letzteren aus, wie auch die jüngste EU-Klimastrategie belegt.
Die Industrie ist deshalb so wichtig, unterstreicht die Kommission, weil 80 Prozent der Innovationen und drei Viertel der Exporte von ihr abhängen. Die Exporte, auf denen der Wohlstand vor allem von Deutschland (im Gegensatz zu industrieschwachen Ländern wie Griechenland, Spanien oder Frankreich) beruht, stürzen indes nicht nur andere Länder in die Schuldenfalle, sie kaschieren auch, dass längst mehr produziert als gebraucht wird, und das zu weiter sinkenden Kosten und mit immer weniger Arbeitnehmern. "Die Grenzen des Wachstums", die der Club of Rome schon vor vier Jahrzehnten beleuchtete, rücken also deutlich näher - und zwar nicht bloß wegen der Beschränktheit der natürlichen Ressourcen, wie damals konstatiert worden war, sondern wegen der inneren Widersprüche des Systems. Die Arbeitslosen bekommen das als Erste zu spüren.