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Geht Zeit der Öffnung zu Ende?

Von Martyna Czarnowska

Europaarchiv

Mit einem Memorandum hat die Europäische Union die Hoffnungen Russlands auf einen Sonderstatus Kaliningrads fürs Erste zunichte gemacht. Die Forderungen Moskaus nach Korridoren und Visumfreiheit für die EinwohnerInnen Kaliningrads lehnt Brüssel nämlich ab. Damit könnte die zwischen Polen und Litauen eingeschlossene russische Exklave nach der EU-Erweiterung - noch mehr - in die Isolation geraten.


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Als Sperrzone hat Kaliningrad Erfahrung genug. Bis 1991 war die Stadt Verwaltungszentrale eines abgeriegelten Militärdistrikts, ein für AusländerInnen abgeriegeltes Gebiet. 46 Jahre davor hatte die UdSSR das nördliche Ostpreußen in ihr Staatsgebiet eingegliedert.

Vom ehemaligen Königsberg ist nicht viel geblieben. Die jahrhundertealte Hansestadt, Residenz des Deutschen Ordens, Metropole Ostpreußens wurde in zwei Augustnächten des Jahres 1944 fast völlig zerstört. Von den Backsteinbauten sind nur wenige erhalten geblieben; Kirchenreste und ein paar Ruinen zeugen von dem Glanz vergangener Tage. Aus Königsberg wurde 1947 Kaliningrad, benannt nach dem ersten Staatsoberhaupt der Sowjetunion. Zu diesem Zeitpunkt waren die meisten deutschen EinwohnerInnen bereits deportiert oder umgekommen. Aus den verschiedensten Sowjetrepubliken trafen NeubürgerInnen ein, und nicht alle kamen freiwillig.

Doch auch das ist Vergangenheit. Mittlerweile hat Kaliningrad andere Probleme. Zwar wurde das Gebiet 1996 eine Sonderwirtschaftszone mit Zollerleichterungen: Schiffbau, Fischerei, Elektronikindustrie, Bernsteinverarbeitung, Papier- und Zelluloseproduktion sollten ausländische InvestorInnen locken. Doch bis jetzt ist die Region mit knapp einer Million EinwohnerInnen eher von Arbeitslosigkeit und Armut gekennzeichnet. Seit 1990 ist die Produktion um mehr als die Hälfte zurückgegangen, die Schattenwirtschaft soll über 50 Prozent des Bruttoinlandsproduktes ausmachen. Einige EU-VertreterInnen zeichnen ein düsteres Bild von der Zukunft Kaliningrads: Die Region könnte sich zu einem Hort von Verbrechen, Drogen und Aids entwickeln.

Forderungen Russlands "unvereinbar" mit EU-Recht

Die Befürchtungen Kaliningrads gehen aber in eine andere Richtung: In der erweiterten Union könnte das Gebiet zu einer schwer zugänglichen Enklave mutieren, zu einem Fremdkörper innerhalb der EU, der durch Einschränkungen beim Grenzverkehr nicht nur räumlich vom russischen Staatsgebiet getrennt ist. Denn mit 1. Juli 2003 führt Polen die Visumpflicht für Russland ein, um im Zuge der Vorbereitungen auf einen EU-Beitritt die Verpflichtungen des Schengen-Abkommens zu erfüllen.

Moskau hatte Erleichterungen gefordert: Der ungehinderte Personenverkehr zwischen der Exklave und dem russischen Hinterland müsse gewahrt bleiben, etwa durch die Schaffung einer freizügigen Tagesvisa-Regelung. Ein weiterer Vorschlag - "geschlossene Korridore" durch Polen und Litauen - löste vor wenigen Wochen empörte Kommentare in polnischen Zeitungen aus. Allzu sehr erinnerte die Idee an das Ultimatum Nazideutschlands, als Hitler 1939 einen Korridor für Ostpreußen verlangte.

Brüssel lehnte die Forderungen Moskaus als "völlig unvereinbar mit dem Schengener Abkommen" ab. Ebensowenig ging die EU auf Verhandlungen mit Russland ein, ohne Stellungnahmen der polnischen und litauischen Regierungen zu berücksichtigen. Kaliningrad wird keinen Sonderstatus erhalten. Zwar werde dem Wunsch Moskaus nach unkompliziertem Transit zwischen der Exklave und der übrigen Russischen Föderation Rechnung getragen werden, hatte EU-Außenkommissar Chris Patten erklärt, um im selben Atemzug hinzuzufügen: "Gleichzeitig müssen unsere Sicherheitsbedürfnisse beachtet werden."

Damit ist in erster Linie das Schengen-Abkommen gemeint, dessen Regeln für Kaliningrad ausnahmslos zur Geltung gelangen sollen. Nicht ausgeschlossen ist, dass ein Visum gleichzeitig teurer wird. Wer nach Polen einreist, zahlt heute rund fünf Dollar. Künftig könnte die Summe auf zwanzig Dollar anwachsen, was für einige RussInnen die Hälfte des Monatseinkommens bedeutet.

"Eine Katastrophe" für die Zukunft der Region

Kaliningrads Gouverneur Wladimir Jegorow bezeichnet die Haltung der EU als "eine Katastrophe". In einem Interview mit dem deutschen Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" warnt er: "Die Brüsseler Position kann unser Gebiet in den wirtschaftlichen Kollaps treiben. Wir haben Kontakte mit allen russischen Regionen und 125 Ländern. Es gibt ein totales Chaos, wenn die Lebensbedingungen für Kaliningrad nicht klar definiert werden."

Diese Befürchtungen teilt Polen nicht. Experten betonen positive Aspekte der Visaeinführung, wie die Eindämmung des Schwarzhandels. Von den 950.000 russischen und etwa einem Drittel weniger polnischer StaatsbürgerInnen, die im Vorjahr die Grenze der Kaliningrader Region passiert haben, leben ihren Schätzungen zufolge etwa 50.000 Personen vom Schmuggel. Legale Unternehmen werden jedoch kaum Einbußen erleiden. Und das Staatsbudget erhalte 50 Millionen Dollar jährlich mehr: Das entspreche dem Wert der entgangenen Alkoholsteuer.

Übrigens: Sperrgebiet bleibt Kaliningrad für Einige auch weiterhin. Als die Autorin dieser Zeilen vor einigen Wochen um ein Visum ansuchte, um an einer JournalistInnenreise teilzunehmen, wurde ihr die Einreise nicht gestattet. Grenzenlos ist manchmal aber das Internet: Die wenigen erhaltenen Backsteinbauten des ehemaligen Königsberg sind immerhin dort zu sehen.