Vor sechs Jahren drängten sich Tausende vor dem Tor zur Downing Street, nur um einen Blick auf den neuen Premier zu erhaschen. Jetzt bemüht sich Tony Blair schon mal selbst vors Tor, um ein paar Hände zu schütteln. Seine Popularität ist auf dem Tiefpunkt. Zwei Drittel der Wähler fühlen sich von ihm hintergangen.
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"Plötzlich kann man sich in der Downing Street ein Leben ohne Tony Blair vorstellen", titelte Mittwoch der "Independent". Für den "Economist" steht schon länger fest: "Es scheint nicht mehr lächerlich, sich die Politik nach Blair vorzustellen." Der "Daily Mirror" sieht die "Geier kreisen".
Selten wohl hat der beschlagene Chefkommentator der BBC, Andrew Marr, so daneben gelegen wie am Tag, als in Bagdad die Saddam-Statue fiel. Blair sei bestätigt worden und gehe stärker denn je aus dem Krieg hervor, verkündete er im Überschwang des Sieges. In den ersten Wochen schien sich das wahr zu werden, doch mittlerweile wird das politische Geschehen in Westminster nur noch von der Frage beherrscht, ob Blair Parlament und Volk über die Kriegsgründe getäuscht hat. Nun ist sogar das Verhältnis zu den USA belastet. "Weißes Haus zieht in den Krieg gegen die Downing Street", titelt die "Daily Mail". Fakt ist: Die Amerikaner verübeln es den Briten, ihnen falsche Geheimdienst-Informationen über Uran-Käufe Saddams zugespielt zu haben, was Bush nun in Bedrängnis bringt. Die Briten wiederum sehen sich von den Amerikanern zum Sündenbock gemacht. Presseberichten zufolge herrscht in der Downing Street Fassungslosigkeit darüber, dass die US-Regierung die Uran-Äußerung in Bushs Rede zur Lage der Nation klipp und klar als "Fehler" bezeichnet hat. Journalisten, die sein Beweismaterial zerrupften, konnte Blair ja noch abbürsten. Beim US-Präsidenten wird es schwieriger.
Eigentlich sollte Blair in Washington die goldene Ehrenmedaille des Kongresses bekommen, doch auf seine eigene Bitte hin wird das nun verschoben. Schon mehrfach hat der Labour-Premier schwere Krisen überstanden. Doch diese ist anders. Seine Überzeugungskraft, seine brillante Rhetorik zeigen keine Wirkung mehr. Die Öffentlichkeit verlangt nur noch "Fakten". Wenn nicht doch noch ein Satz Massenvernichtungswaffen gefunden wird, sei es schwer vorstellbar, wie Blair die Bevölkerung noch überzeugen wolle, kommentiert die "Financial Times". Als sich Blair Mittwochmittag nach einer erregten Unterhaus-Debatte wieder in seinen gepanzerten Jaguar setzte, blieb ihm eine Hoffnung: die parlamentarische Sommerpause. Könnte es nicht sein, dass sich die Wogen ganz einfach von selbst glätten, während er sich im karibischen Ferienhaus des Popsängers Cliff Richard entspannt?