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Geiersturzflug

Von Ronald Schönhuber

Politik

Paul Singer, der soeben Argentinien in die Pleite geschickt hat, hat das Ausweiden von Staaten zum Geschäftsmodell gemacht.


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Buenos Aires/New York. Würde man den irischen Rockstar und U2-Frontman Bono, der sich in den vergangenen Jahren mit teils pathetischem Furor für die Entschuldung der ärmsten Länder eingesetzt hat, bitten, eine Best-of-Böse-Liste anzufertigen, dann wäre wohl ein Mann ganz vorne zu finden, der nicht unbedingt dem Bild entspricht, das man gemeinhin von einem "Aasgeier" oder einer "Heuschrecke" im Kopf hat. Paul E. Singer, der mit seinem Hedgefondsunternehmen Elliott Management soeben Argentinen in die De-Jure-Pleite geschickt hat, gilt als höflich und zurückhaltend. Und mit seinem korrekt gestutzten Vollbart und dem grauen Haar wirkt der 69-Jährige eher wie ein honoriger Professor als ein skrupelloser Milliardär, der für saftige Renditen über Leichen geht.

Die Art und Weise wie Singer zu seinem Vermögen gekommen ist, das vom US-Wirtschaftsmagazin "Forbes" auf 1,5 Milliarden Dollar geschätzt wird, legt aber nahe, dass das gerne gepflegte Selbstbild des Musik liebenden Philanthropen mit der Realität wenig zu tun hat. Denn Singer hat das Ausweiden kriselnder Unternehmen und pleitebedrohter Staaten zum überaus lukrativen Geschäftsmodell seiner 300 Mitarbeiter zählenden Firma gemacht. Im Fall von Argentinien hatte der studierte Jurist über seinen auf den Cayman-Inseln registrierten Fonds NML Capital massenhaft Staatsanleihen gekauft, als diese durch die Staatspleite im Jahr 2002 stark im Wert gefallen waren. Doch anders als der Großteil der Gläubiger beteiligte sich Singer nicht an den beiden großen Schuldenschnitten, sondern versuchte mit Hilfe der US-Justiz die Auszahlung der Schuldtitel zum Nennwert von 1,3 Milliarden Dollar plus Zinsen durchzusetzen. Um den Forderungen, die Singer im Bestfall eine Rendite von fast 1700 Prozent beschert hätten, Nachdruck zu verleihen, schreckte das Anwaltsheer von Elliott dabei vor wenig zurück. Jahrelang wurde rund um den Globus versucht, argentinische Vermögenswerte zu pfänden, angefangen von der Präsidentenmaschine über das in Ghana festgesetzte Segelschulschiff "Libertad" bis hin zum argentinischen Stand auf der Frankfurter Buchmesse.

In die Enge getrieben

Argentinien ist allerdings nur ein Land auf einer ganzen Liste von Staaten, die von Elliot aufs Korn genommen wurden. Mitte der Neunziger übernahm Singer in Peru die Kredite einer Pleite gegangenen Bank, die durch eine staatliche Zahlungsausfallsgarantie abgesichert waren. Mit Hilfe eines belgischen Gerichts gelang es nach einem jahrelangen Klagsmarathon schließlich, die Regierung in Lima soweit in die Enge zu treiben, dass diese entnervt klein beigab. Singer, der 11 Millionen Dollar investiert hatte, bekam 58 Millionen ausbezahlt.

Mit einer ähnlichen Strategie hatte Elliott, das derzeit Vermögenswerte von rund 25 Milliarden Dollar verwaltet, Ende der 1990er-Jahre auch den Kongo geschröpft. Nach einem jahrelangen Rechtstreit ordnete schließlich ein britisches Gericht 2005 an, dass der Rohstoffkonzern Glencore 39 Millionen Dollar für zwei Öllieferungen nicht an den Kongo, sondern an Elliots Firma überweisen muss, um die aus kongolesischen Schuldtiteln entstandenen Forderungen zu begleichen. Unmittelbar zuvor soll es Singer gelungen sein, vorübergehend 90 Millionen Dollar Entwicklungshilfe zu blockieren, die eigentlich für die Bekämpfung einer Cholera-Epidemie vorgesehen waren.

Mit ihrem Geschäftsmodell füllen Hedgefonds wie Elliott eine Nische, die große Geschäftsbanken nicht bearbeiten wollen und private Anleger meist nicht bearbeiten können. Denn während den privaten Investoren häufig der lange Atem und das nötige juristische Know-How fehlt, wollen die Geldinstitute nicht jene Hand beißen, die sie im nächsten Moment wieder füttern könnte. Schließlich ist es wenig wahrscheinlich, dass eine Bank, die sich als unnachgiebiger Gläubiger erweist, von einer zuvor in die Enge getriebenen Regierung bald wieder den Auftrag bekommt, die nächste Runde an Staatsanleihen zu platzieren.

Dass sie das schmutzige Geschäft besorgen, an das sich niemand anderer heranwagen will, und damit Milliarden auf Kosten der Ärmsten scheffeln, stellen Hedgefonds wie Elliott naturgemäß in Abrede. Schon seit Jahren führen Singer und hochrangige Elliott-Mitarbeiter immer wieder das Argument ins Treffen, dass sich korrupte oder schlecht regierte Länder nicht so leicht aus der Verantwortung für politische oder wirtschaftliche Fehler stehlen könnten, wenn sie ihre Zahlungsverpflichtungen in vollem Umfang einhalten müssen. Denn dadurch würden letztendlich Strukturen geschaffen, die einem Land zu mehr Wachstum verhelfen. "Stellen Sie sich vor, wieviel Geld ein Land wie Argentinien anziehen würde, wenn es ein verantwortungsvoller Schuldner wäre und seine Verpflichtungen einhalten würde", schrieb Singer bereits 2005 in einem Artikel.

Argentinien als Vorbild?

Doch möglicherweise ist das Geschäftsprinzip des 69-Jährigen ohnehin schon bald ein Auslaufmodell. Denn der Schuldenstreit, der in Südamerika zu einer enormen Solidarisierungswelle mit Argentinien geführt hat, stellt auch das gängige System der Staatenfinanzierung durch Spekulation infrage. Staaten könnten es zunehmend schwerer haben, Abnehmer für ihre Anleihen zu finden, weil die Kreditgeber künftig wohl noch genauer hinsehen werden. Gleichzeitig scheint es nicht ausgeschlossen, dass auch andere in Not geratene Länder ähnlich verfahren wie Argentinien und unliebsame Gläubiger einfach nicht mehr bedienen. Denn abgesehen von den juristischen Mitteln, die Elliott ausgeschöpft hat, gibt es in dieser Hinsicht kaum eine Handhabe. Ein internationaler Gerichtshof zur Lösung von Staatsschulden-Streitigkeiten existiert derzeit noch nicht. Allerdings hat sich Paul Singer auch in der Vergangenheit schon als überaus findig erwiesen.