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Geilheits-Faktor im Kampf gegen Kapitalismus

Von Karl Ettinger

Politik

Wiens rote und schwarze AK-Vertreter kämpfen vereint gegen das Wurschtigkeits-Gefühl der Beschäftigten.


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Wien. Sie war schon lange vor ihrer Karriere als Präsidentin der Wiener Arbeiterkammer (AK) und der Bundeskammer ein kleiner Fernseh-Star. Mit elf Jahren war Renate Anderl in der legendären ORF-Sendung "Wer bastelt mit?" in den Siebziger Jahren eines jener Kinder, die vor einer TV-Kamera mitmachen durften. Laubsägearbeiten waren ihr schon damals lieber als Häkeln. Heute mit 56 Jahren bastelt Renate Anderl daran mit, dass ihre Fraktion Sozialdemokratischer Gewerkschafter (FSG) bei der Wiener Arbeiterkammerwahl von 20. März bis 2. April 2019 wie schon vor fünf Jahren wieder eine satte Mehrheit einfährt. Der Wahlkampfauftakt der von den roten Gewerkschaftern dominierten Wiener Arbeiterkammern erfolgte am Donnerstagabend in der Marx-Halle in Wien. Die "Wiener Zeitung" war exklusiv dabei, als Anderl vor Hunderten Funktionären ihre ganz persönlichen Jugenderinnerungen preis gab.

Es wurden keine großen Reden geschwungen. Die Arbeiterkammerpräsidentin plauderte im wahrsten Sinne des Wortes locker vom Hocker mit Birgit Denk, die Entertainerin hatte ihr Show-Format mit Musik und Talk in die weite Veranstaltungshalle nahe der Südosttangente verlegt. Bewusst mit Liedern mit Arbeiterbezug. So erfuhren die roten Mitstreiter an den Tischen nicht nur von den Anfängen der Arbeiterkammerchefin, die seit dem Frühjahr des Vorjahres das Präsidentenamt ausübt, bei der männerdominierten Metallergewerkschaft und von der "Hetz", die sie als Kind eines Hausmeisters beim Mithelfen beim Schneeschaufeln empfand.

Den Aretha-Franklin-Song Respect hatte sich Anderl von Denk bewusst zum Auftakt gewünscht. Von den nach wie vor bestehenden Einkommensunterschieden zwischen Frauen und Männern kam die Präsidentin aus dem Gewerkschaftsapparat auf ihre Antriebsmotivation zu sprechen: "Ich habe jetzt nicht das Helfer-Syndrom, sondern den Gerechtigkeitssinn." Da gehen ihr speziell die Reformen der ÖVP-FPÖ-Bundesregierung bei Arbeitszeit und Sozialversicherung gegen den Strich.

Arbeiterkammerwahl startet in drei Bundesländern schon am Montag

Den "ganz tollen Apparat" an Expertinnen und Experten in der Arbeiterkammer hob die Präsidentin auch beim roten Wahlauftakt besonders hervor. Am Ende stand dann die Sorge, dass möglichst viele Beschäftigte auch tatsächlich zur Wahl ihrer gesetzlichen Interessenvertretung gehen. "Jede Stimme tut etwas", bläute Anderl zum Abschluss den roten Wahlkampfhelfern eindringlich ein.

Die AK-Wahl ist auch heuer wieder nach Bundesländern gestaffelt. Los geht es schon an kommenden, Montag, 28. Jänner, in Vorarlberg, Tirol und Salzburg. In Wien und Niederösterreich sind die Arbeitnehmer ab 20. März an der Reihe.

Denks nächster Talk-Gast vorne auf dem Podium war ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian. Der gebürtige Stockerauer mit violettem Austria-Wien-Fußballer-Herz, schilderte, wie es dazu kam, dass er nach der abgebrochenen Schulkarriere in der Handelsakademie zuerst bei der Länderbank und von dort dann bei der Gewerkschaft landete. Schon sein Vater sei "Vertrauensmann" in dessen Firma gewesen. Schnell kam Katzian dazu, wie die türkis-blaue Koalition nur zwei Stunden nach Ende des Gewerkschaftskongresses im Juni des vergangenen Jahres den danach heftig bekämpften Antrag für flexiblere Arbeitszeiten mit der Möglichkeit für den Zwölf-Stunden-Arbeitstag im Parlament eingebracht habe, um den ÖGB-Riesen auf dem falschen Fuß zu erwischen.

Vermeintliche "Hosenscheisser" der Gewerkschaft gegen den Zwölf-Stunden-Tag

Für den 30. Juni habe man dann die Großdemonstration dagegen organisiert. "Halb Wien war auf dem Weg nach Jesolo", schilderte der ÖGB-Präsident mit schelmischem Lächeln. Dennoch habe man 120.000 Leute auf den Wiener Heldenplatz gebracht: "Es war so geil!" Der Geilheits-Faktor für Katzian lag besonders darin begründet, dass man auf Regierungsseite das wohl nicht erwartet habe. Einfach zu sagen, die "Hosenscheisser" bei der Gewerkschaft würden das nicht schaffen, da "muss man in der Pendeluhr schlafen", gluckste der ÖGB-Chef in Richtung der naturgemäß nicht anwesenden türkis-blauen Regierungsstrategen.

Der ÖGB-Präsident ("es macht mir richtig, richtig Spaß") polterte anschließend, solange es den Kapitalismus gebe, werde es auch unterschiedliche Interessen mit den Arbeitnehmervertretern geben. Er wollte auch gar nichts von den ständigen Aussagen hören, dass die Sozialpartnerschaft zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter nun "für den Misthaufen" sei. In Anspielung auf die jüngsten Äußerungen von Innenminister Herbert Kickl (FPÖ), der Grundregeln wie die Menschenrechtskonvention in Frage gestellt hatte, meinte der ÖGB-Chef: "Ich bin wirklich sehr in Sorge über die Weiterentwicklung der Demokratie."

Mit dem Sommerhit "Bella ciao" gegen Politiker wie Kickl

Selbst der Sommerhit "Bella ciao" aus dem Vorjahr wurde beim roten Wiener Arbeiterkammer-Wahlauftakt nicht nur vor dem Auftritt des Gewerkschaftspräsidenten intoniert. Katzian erinnerte daran, dass es sich bei Bella ciao einst um ein antifaschistisches Protestlied gehandelt habe. Auf Kickl gemünzt forderte er die anwesenden AK-Wahlhelfer auf: "Das werden wir dann wieder singen müssen." Da wurde manch rotem Funktionär an diesem Jänner-Abend mit Minusgraden vor der Halle warm ums Herz.

Auch der Kabarettist Lukas Resetarits stellte sich dann mit einem Programm mit vielen Erinnerungen an die Siebziger Jahre und die Ära von SPÖ-Sonnenkönig Bruno Kreisky in den den Dienst der roten Wahlkampfsache – Seitenhiebe auf Innenminister Kickl inklusive. Aber auch Resetarits endete nach weit mehr als einer Stunde mit mahnenden Worte, dass die AK-Mitglieder auch zur Wahl gehen sollten: "Das Wahlrecht ist net wurscht."

Zur gleichen Zeit hatte am Donnerstagabend im Museumsquartier in Wiener Innenstadtnähe die Fraktion Christlicher Gewerkschafter (FCG) zum Wahlkampfauftakt für die Wiener AK-Wahl geladen. Der Wiener FCG-Spitzenkandidat Fritz Pöltl hat als Wahlziel nicht nur das Stärkerwerden der schwarzen Fraktion, sondern auch das Rückerobern des 2014 verlorenen Postens eines AK-Vizepräsidenten in Wien als ein Ziel ausgegeben. Bundeskanzler ÖVP-Obmann Sebastian Kurz weilte noch beim großen Weltwirtschaftsforum in Davos in der Schweiz. In der kleineren Welt der emsigen schwarzen Mitstreiter, die in der Fraktion der Christgewerkschafter und des ÖVP-Arbeitnehmerflügels (ÖAAB) vereint kandidieren, trat ÖVP-Generalsekretär Karl Nehammer auf.

Schwarze Fraktion will die Freiheitlichen in Schach halten

Spitzenkandidat Pöltl hatte schon davor für die Werbetrommel gerührt, dass möglichst viele Arbeitnehmer ihr Wahlrecht bei der Arbeiterkammerwahl in Wien in Anspruch nehmen. Besonders umworben werden dabei auch jene, die aus Niederösterreich für ihren Job in die Bundeshauptstadt einpendeln. Den Freiheitlichen Arbeitnehmern warf der schwarze Spitzenmann vor Journalisten vor, die Arbeiterkammer "vernichten" zu wollen. Jedenfalls wolle man die FPÖ-Fraktion bei der Wiener AK-Wahl in Schach halten.

Inhaltlich steht für die FCG-ÖAAB-Fraktion im Vordergrund, dass die Mieten nicht stärker als die Löhne steigen. Es müsse auch mehr altersgerechte Arbeitsplätze geben. Mit der ÖVP-Bundesführung und Wiens ÖVP-Obmann Minister Gernot Blümel sieht Pöltl bezüglich des Kurses der Bundesregierung nun "einiges klargestellt". Jetzt werde eine arbeitnehmerfreundlichere Politik – Stichworte Steuererleichterungen und Familienbonus – gemacht.

Nur mit der Absage der ÖVP-FPÖ-Bundesregierung an den Karfreitag als zusätzlichen Feiertag können sich die schwarzen Arbeitnehmervertreter in der Wiener Arbeiterkammer ganz und gar nicht anfreunden. Während die ÖVP-Wirtschaftsvertreter sich mit Händen und Füßen dagegen wehren und die Mehrkosten eines zusätzlichen, 14. Feiertags in Österreich mit 600 Millionen Euro beziffern, sagte Pöltl: "Es spricht nichts dagegen, dass ein zusätzlicher Feiertag kommt." Dieses Thema wird den AK-Wahlkampf noch beleben. Denn die Regierung hat noch bis zum heurigen Karfreitag am 19. April Zeit, eine Lösung zu finden. Die Wiener Arbeiternehmer sind davor zur Wahl aufrufen – von 20. März bis 2. April.