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Die Terrormiliz Islamischer Staat fordert von Jordanien einen Gefangenenaustausch und bringt damit das Land in Bedrängnis.
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Bagdad/Amman. Eine japanische Geisel ist schon ermordet worden. Und mittlerweile hat die Dschihadistengruppe "Islamischer Staat" (IS) mit der Tötung eines zweiten Japaners sowie eines gefangenen jordanischen Kampfpiloten gedroht. IS fordert von Jordanien die Freilassung der in dem Land inhaftierten irakischen Jihadistin Sajida al-Rishawi.
Jordanien sitzt nun in der Klemme. Die Regierung in Amman hat dem Gefangenenaustausch mit der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) zugestimmt. Das Königreich ist somit erpressbar. Hätten die Jordanier nicht zugestimmt und die Geiseln wären getötet worden, würde eine moralische Schuld auf dem Land lasten. Der Druck aus Japan, den Forderungen des IS zu entsprechen war groß, zumal Tokio der größte Geldgeber für die Flüchtlingskatastrophe in Jordanien ist.
IS änderte Strategie
Japans Regierungschef Shinzo Abe sandte eigens seinen stellvertretenden Außenminister nach Amman, um König Abdullah zu dem Deal zu bewegen. Die Amerikaner hingegen warnen die Jordanier eindringlich vor dem Schritt, die in Jordanien inhaftierte Islamistin Sajida al-Rashawi freizulassen und im Gegenzug die japanische Geisel Kenji Goto und den jordanischen Piloten Muath al-Kasaeshbeh auszutauschen.
Zunächst waren zwei Japaner in IS-Geiselhaft. Nachdem der erste der beiden ermordet wurde, setzt Tokio nun alles daran, wenigstens das Leben des zweiten Japaners zu retten. Der Kriegsreporter Goto ging im Oktober nach Syrien, um über die Freilassung seines Freundes zu verhandeln. Nachdem Shinzo Abe nicht bereit war, ein Lösegeld von 200 Millionen Dollar für die beiden zu bezahlen, brachte der IS die eine Geisel um und änderte seine Strategie für die zweite. Aus der finanziellen Forderung wurde über Nacht eine politische. Das Geiseldrama wurde damit internationale Politik.
Jordanien will nun das Schicksal des Japaners mit dem seines Piloten Muath al-Kasaeshbeh verknüpfen. Wenn die Dschihadistin al-Rashawi freikommt, dann nur gegen beide Geiseln, hieß es gestern Nachmittag in Amman.
Der jordanische Pilot wurde im Dezember im Nordosten Syriens vom IS gefangen genommen, als sein Flugzeug nach einem Luftangriff ins Straucheln kam und abstürzte. Die Terrormiliz behauptet, sie habe den Jet abgeschossen, andere Quellen sprechen von einem technischen Defekt der Maschine.
Jordanien wie Japan sind Mitglieder der internationalen Allianz zur Bekämpfung des IS. Nachdem IS am Dienstagabend die Videos mit den Todesdrohungen gegen die beiden Geiseln veröffentlicht hatte, versammelten sich mehrere hundert Demonstranten, darunter Angehörige des vom IS festgesetzten Piloten Muath al-Kasaeshbeh vor dem Sitz des Premierministers in Amman. Sie forderten von den Politikern, sich mit IS auf einen Gefangenenaustausch zu einigen.
Indirekte Verhandlungen
Bis Redaktionsschluss war noch unklar, ob der Austausch zustande kommen wird. Bassam al-Manaseer, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im jordanischen Parlament, gab sich zuversichtlich und erklärte, dass seine Regierung in indirekten Verhandlungen mit dem IS stünde. Als Vermittler nannte er religiöse Würdenträger im Irak und Stammesführer aus der irakischen Provinz Anbar, woher Sajida al-Rashawi, deren Freilassung IS fordert, stammt.
Sajida al-Rashawi ist eine prominente Dschihadistin, und ihre Geschichte reicht weit in die Vergangenheit: Es ist fast zehn Jahre her, als im November 2005 eine Serie von Anschlägen auf drei Hotels der gehobenen Klasse, mit vornehmlich internationalen Gästen, in Amman 60 Personen in den Tod riss und 115 verletzte. Ganz besonders brutal war der Selbstmordattentäter, der sich inmitten einer Hochzeitsgesellschaft im Festsaal Philadelphia des Radisson SAS Hotels in die Luft sprengte. Hunderte Gästen nahmen an dem Fest teil. Für 38 von ihnen endete die Feier tödlich. Der Mann mit dem Sprengstoffgürtel hieß Ali Hussein al-Shamari, wie die jordanischen Behörden herausfanden. Ursprünglich wollte er zusammen mit seiner Frau den Anschlag im Festsaal verüben, doch deren Sprengstoffgürtel explodierte nicht. Als ihr Mann den technischen Defekt erkannte, soll er sie aus dem Saal gestoßen haben, gab sie später zu Protokoll. Die Frau mit dem defekten Sprengstoffgürtel war Sajida al-Rashawi.
Demonstration eines Attentats
Vor laufender Kamera erzählte sie ihre Geschichte, gab zu, aus dem Irak zu stammen und fünf Tage vor dem Attentat mit ihrem Mann und gefälschten Pässen nach Jordanien eingereist zu sein. Die Grenzbeamten hegten keinen Verdacht bei dem harmlos aussehenden Ehepaar. In der Fernsehsendung trug Sajida al-Rashawi ihren defekten Sprengstoffgürtel und führte den Zünder vor, der nicht explodieren wollte. Ganz Amman schaute gebannt auf die Frau, die vor aller Welt vorführte, wie die menschliche Bombe funktioniert, wie man die Zündschnur reißt und wie man hofft, dass möglichst viele im Namen Allahs in den Tod gerissen werden.
Sajida al-Rashawi wurde zum Tode durch den Strang verurteilt, widerrief allerdings vor Gericht ihr Geständnis und konnte im Oktober 2010 eine Revision ihres Verfahrens erreichen. Die 50-jährige Irakerin soll die Schwester eines engen Vertrauten von Abu Musab al-Zarqawi gewesen sein, dem aus Jordanien stammenden Chef von Al-Kaida im Irak. Ihr Bruder wurde zusammen mit Zarqawi durch einen Luftangriff der Amerikaner 2006 getötet. Der heutige Chef des Islamischen Staates wurde bei derselben Aktion verhaftet.