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Geiseln und Staatsräson

Von Walter Hämmerle

Analysen

Geiselnahmen stellen Regierungen vor unlösbares Dilemma. | Die Terroristen haben meist die besseren Karten. | Terroristen und Kriminelle, denen es schlicht um Lösegeld geht, haben die Entführung von - vorwiegend, aber nicht nur westlichen - Ausländern als lohnendes Vehikel für die Umsetzung ihrer Ziele entdeckt. Die Entführung zweier Deutscher im Irak, deren Schicksal bei Redaktionsschluss weiter unklar war, ist nur das jüngste Glied in einer bereits langen Kette.


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"Mit Geiselnehmern wird nicht verhandelt!" Dieser Satz gehört dabei zwar zum Standardrepertoire jeder Regierung, die mit der Geiselnahme von eigenen Bürgern konfrontiert ist. Der Satz sagt jedoch bestenfalls die halbe Wahrheit. Tatsächlich stellen Entführungen, bei denen die Geiselnehmer bei Nichterfüllung ihrer Bedingungen mit der Hinrichtung ihrer Opfer drohen, jede demokratisch gewählte Regierung vor ein unlösbares Dilemma.

Die Staatsräson gebietet, dass kein Staat den Erpressungsversuchen von Terroristen nachgeben darf, will er nicht künftigen Nachahmungstätern Tür und Tor weit öffnen. Doch dieser eherne Grundsatz kühler Vernunft im Interesse des Gesamtstaates stößt rasch an Grenzen. Die Massenmedien sorgen dafür, dass die persönliche Tragödie der Opfer und das Mitleid der zu Hause gebliebenen Mitbürger für die verantwortlichen Akteure zu einem wesentlichen Faktor werden. Dagegen fehlt der Gefühlskälte der Raison dEtat nun einmal jener Human Trouch, der die Menschen auch emotional erreicht.

Die Politik versucht ihr Dilemma durch eine Doppelstrategie zu lösen, die einem unmöglichen Spagat gleichkommt: Das Leben der Geiseln retten ohne gleichzeitig den Anschein von Erpressbarkeit aufkommen zu lassen. Man kann wohl getrost davon ausgehen, dass diese Quadratur des Kreises in den allermeisten Fällen nicht gelingt. Die Zahlung von Lösegeld gilt dabei meist als vertretbarer Kompromiss. Das anschließende Dementi gehört zum Spiel dazu.

Tatsächlich haben die Terroristen die besseren Karten in der Hand. Sie wissen um die Abneigung der allermeisten westlichen Öffentlichkeiten gegenüber jedwedem Engagement ihres Landes im Irak. Dementsprechend gering ist hier auch die Bereitschaft der Öffentlichkeiten, für dieses Engagement Opfer zu ertragen. Auch die betroffenen Regierungen sind sich dessen nur allzu bewusst. Und so vertreten sie ihre Position der Härte nach außen nur zurückhaltend.

Nicht minder ambivalent ist in diesem Zusammenhang auch die Rolle der Medien. Was dem einen die Wiederwahl, ist dem anderen die Auflage. Die Unterwerfung unter übergeordnete Interessen fällt in beiden Fällen regelmäßig schwer. Mit jedem Bericht über die Geiselnahmen verschaffen die Medien den Entführern die gewünschte Öffentlichkeit. Und Schweigen käme einem Verrat am Daseinszweck von Medien gleich. Bleibt auch hier nur ein unvollkommener Mittelweg als Ausweg.